Patty Janes Frisörsalon
dieses Leben zurückkehren, ehe ihr der Mut verloren ging, es anzupacken.
Ein eisiger Wind packte die Röcke der Frauen und rià ihnen die Enden ihrer Schals über die Schultern, als sie aus dem Auto stiegen, das Avel ihnen zur Benutzung dagelassen hatte, und die Treppe hinaufliefen. Patty Jane hielt das Kind, das in Decken eingehüllt war, und flüsterte immer wieder: »Es wird alles gut«, als sie die Treppe hinaufstieg, die so hoch wie der Mount Everest schien.
An einem Nachmittag fünf Tage später hörten Patty Jane und Harriet es an der Tür klopfen und erstarrten einen Moment in Hoffen und Bangen gefangen: War das Thor? War es jemand, der Nachricht von Thor brachte?
Harriet stand im selben Moment auf, als Avel die Tür aufstieÃ. Patty Janes düstere Stimmung hellte sich ein wenig auf. Sie konnte sogar leise lachen, als Harriet ihren Avel in einer stürmischen Umarmung aus den Angeln hob. Aber die Finsternis geizte mit lichten Momenten; tiefe Traurigkeit senkte sich wieder über Patty Jane, als sie dachte: So hätte ich Thor niemals hochheben können.
Als Harriet ihn endlich herunterlieÃ, glättete Avel mit Würde seinen Mantel. »Ich habe schon geahnt, daà du das tun würdest. Darum habe ich die Geschenke alle vor der Tür stehen gelassen.«
Harriet lächelte zwar, doch das Schweigen, mit dem seine Worte aufgenommen wurden, sagte Avel alles.
»Na ja, ihr könnt sie euch ja später ansehen.« Er wandte sich zur Garderobe, um Hut und Mantel abzulegen, und suchte krampfhaft nach einem hilfreichen Wort.
»Patty Jane«, sagte er, und sie stand auf und ging ihm entgegen. Sie hatte Thors alten Frotteebademantel an, aber er sah sofort, daà der runde Bauch nicht mehr da war.
»Ein Mädchen«, sagte Patty Jane nickend. Sie und Avel umarmten einander, und bald war der Kragen des Bademantels feucht von Avels Tränen.
Patty Jane führte ihn durch den kurzen Flur ins Schlafzimmer. Er blickte zurück und sagte leise zu Harriet: »Thor?« Sie antwortete mit einem Kopfschütteln.
»Sie heiÃt Nora«, sagte Patty Jane. »Nach Ibsens Nora.« Wenn Elmo und Anna nüchtern genug gewesen waren, um zu lesen, hatte ihre besondere Loyalität den Norwegern gegolten.
»Sie ist ja entzückend«, sagte Avel, als Patty Jane einen Zipfel der mit Satin eingefaÃten Decke hob. »Sie ist noch kleiner als ich.«
»Aber es fehlt nicht viel«, meinte Patty Jane und hätte Avel am liebsten einen Kuà dafür gegeben, daà er sie wieder zum Lächeln gebracht hatte. Statt dessen nahm sie seine Hand und streichelte sie. »Es geht mir gut, Avel«, sagte sie. »Ich weià zwar nicht, was zum Teufel eigentlich los ist, aber es geht mir gut.«
Mit den Fingern strich sie Nora über die kleine Wange. Der Mund des Säuglings zuckte, als wollte er saugen.
Harriet kam ins Schlafzimmer. »Der Kaffee ist fertig.«
»Ich habe was Besseres«, sagte Avel, als sie in die Küche zurückgingen. »Her mit den Gläsern, und dann überlegen wir, was zu tun ist.«
Avel brachte eine Flasche zum Vorschein, die ein französischer Geschäftsfreund ihm geschenkt hatte, und Patty Jane sagte: »Das letztemal habe ich in meinen Flitterwochen Champagner getrunken.« Sie fiel plötzlich auf die Knie und umklammerte mit beiden Händen die Querleisten des hölzernen Küchenstuhls. Ihre Stimme stieg zu hohem klagendem Wimmern auf. Avel und Harriet knieten neben ihr nieder, hielten sie fest und rieben ihr den zuckenden Rücken, der wie von StromstöÃen geschüttelt schien.
»Komm nach Hause, Thor«, schrie Patty Jane schluchzend und krallte sich am Stuhl fest, als wäre sie eine Gefangene.
Erst als Nora erwachte und den Schmerz ihrer Mutter mit ihrem Weinen übertönte, beruhigte sich Patty Jane.
Kreisrunde feuchte Flecken hatten sich vorn auf ihrem Bademantel ausgebreitet, und Avel fragte mit groÃer Ehrfurcht: »Ist das Milch?«
Patty Jane schluchzte noch einmal auf. »Ja«, antwortete sie. »Ich bin die reinste Molkerei.« Sie lief ins Schlafzimmer.
Einen Augenblick später hörte Noras Weinen abrupt auf. Beinahe grob stieà Harriet Avel auf einen Stuhl und pflanzte sich auf seinen SchoÃ.
»Uff«, sagte er.
»Ach, Avel, ich bin so froh, daà du wieder da bist.« Harriet drückte ihm mit den Armen den Hals ab wie ein steifer
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