Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
gönnte.
Und er selbst? Paul Flemming war Fotograf und wurde dafür bezahlt, dass er fotografierte. Sein Draht zum Rathaus war inzwischen beachtlich stabil. Er konnte sich über einen Mangel an Aufträgen nicht beklagen. Das hatte er nicht zuletzt auch Victor Blohfeld zu verdanken. Er musste zugeben, dass Blohfeld ihm in dieser ganzen unangenehmen Zeit mehr als hilfreich zur Seite gestanden hatte.
Blohfeld war natürlich auch der Erste, der anrief, nachdem sich der Trubel gelegt hatte. »Oscar Wilde hat einmal gesagt: ›Der Erfolg enthält immer etwas, das deinen besten Freunden missfällt.‹ Sie haben der Wahrheit zum Erfolg verholfen, und das allein zählt. Denken Sie daran, wenn Ihr schlechtes Gewissen Ihrer alten Freundin Lena gegenüber allzu groß werden sollte«, sagte er tröstend. »Sie lagen übrigens wieder einmal richtig mit Ihrem Gefühl«, meinte der Reporter dann salbungsvoll, und Paul konnte seiner Stimme anhören, dass er ihn offenbar schwer beeindruckt hatte. »Bei dem Bild, das Sie in Ihrer wahnwitzigen Kamikaze-Aktion aus der Wohnung der Mörderin geholt haben, handelte es sich tatsächlich um eine Fälschung. Ich frage mich noch immer, wie – um Himmels willen – Sie das ahnen konnten. Für mich wäre die Mätresse als echter Dürer durchgegangen.«
Paul kratzte sich am Kinn, während er über seine Antwort nachdachte. Denn er war ja großenteils intuitiv vorgegangen.
»Wissen Sie, Blohfeld: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren intensiv mit Dürers Werken, und ich habe mich eine ganze Nacht lang mit dem Bild auseinander gesetzt.«
»Und dabei ist Ihnen der Sinn dieser kopfstehenden Buchstaben klar geworden«, folgerte Blohfeld.
»Kopfstehend und spiegelverkehrt. Ja, der Fälscher hat sich mit seiner eigenen Enttarnung einen hinterlistigen Scherz erlaubt.« Paul schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie verblüfft er selbst gewesen war. » Scortator « , sagte Paul. »Es war das erste Mal seit der Schulzeit, dass ich mein Großes Latinum einmal sinnbringend anwenden konnte.«
»Solche Worte lernt man in der Schule?«, fragte Blohfeld mit gespielter Entrüstung.
»Ja, aber nur in der letzten Stunde vor den Sommerferien. Schon zu meiner Schulzeit haben sich die Lehrer manchmal bemüht, zumindest ein Mal im Jahr ihre Schüler zu unterhalten: Scortator, auf deutsch: Hurenbock oder Ehebrecher. – Der Fälscher hat Dürer ganz eindeutig vorgeführt. Er konnte ihn nicht leiden.«
»Was angesichts dieser Beleidigung wohl untertrieben ist«, sagte Blohfeld.
Paul stimmte ihm zu. »Aber auch ohne das verräterische Wort hätte das Machwerk wohl nur als sehr kurzlebige Täuschung getaugt. Ich denke, Lena hat ganz einfach auf den falschen Mann gesetzt, als sie ausgerechnet den Kirchenmaler als Gutachter einsetzte – der Arme hatte den größten Teil seines früheren Sachverstandes durch seine Sucht wohl schon längst eingebüßt. Und Lena selbst war zu verblendet, um die Wahrheit erkennen zu können.«
Blohfeld stellte noch einige Fragen, und Paul wusste sehr wohl, dass sein Interesse nicht von ungefähr kam: Als Reporter mit wieder entflammtem journalistischem Feuer hatte er sich sofort in die Sache hineingehängt. Seine Zeitung trat großspurig als Sponsor der aufwändigen Untersuchungen des angeblichen Dürer-Bildes auf. Das Blatt finanzierte die Expertise mit, die Wissenschaftler am Germanischen Nationalmuseum erstellten.
Der Reporter listete die Ergebnisse auf: »Wir haben das Bild mit UV-Licht bestrahlt und mit allen nur denkbaren anderen wissenschaftlichen Methoden untersuchen lassen. Ich bin kein Experte in diesen Dingen, aber ich habe mir sagen lassen, dass die Zeichnung bei näherer Betrachtung uneinheitlich und voller Flecken ist. Eine für Dürer untypisch unsaubere Arbeit.«
Paul lauschte fasziniert und hoffte gleichzeitig, dies alles nicht hören zu müssen.
»Nun ist noch die Karczenko am Zug«, setzte Blohfeld trocken fort. »Sie und ihre Studenten sind schon ganz wild darauf, das Bild unter ihre Scanner zu kriegen. Spätestens nach deren Computeranalyse wissen wir es hundertprozentig. Aber ich rechne da mit keinen Überraschungen mehr. – Fragt sich, von wem die Zeichnung stammt und wer sie unter die Dielenbretter im Dürerhaus gelegt hat. Papier und Tusche stammen jedenfalls tatsächlich aus der Dürer-Zeit.«
»Ich glaube, Dürer hat das Bild wirklich selbst dort deponiert«, sagte Paul nachdenklich.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Die Mätresse ist eine beachtlich
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