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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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dirigierte ihn zurück zur Schleuse. »Meinen Sie nicht, dass Sie für den ersten Tag mehr als genug gesehen haben?«
    »Nun«, gab Paul notgedrungen nach, »ich bin ja so weit fertig.«
    Wenig später schälte sich Doro Wiesinger aus ihrem Schutzanzug. In ihrem Barbie-Kleidchen wirkte sie nun wieder absolut fehlplaziert in der sterilen Welt der Metzger.
    Paul wollte sich für die Werksbesichtigung bedanken, als seine Begleiterin ihn unvermittelt an der Hand berührte. Er zog sie schnell zurück.
    Doro Wiesinger lächelte ihn für sein Empfinden eine Spur zu freundlich an. »Im Gegensatz zu meinem Mann achte ich bei der Auswahl meiner Begleiter auf Qualität – und ich bin diskret«, hauchte sie anzüglich.
    »Das freut mich für Sie«, sagte Paul und vergrößerte den Abstand zu ihr.
    Doro Wiesinger kniff die Augen zusammen. Nicht beleidigt, wie Paul bewundernd feststellte, sondern eher kampflustig.
    »Okay«, sagte Doro Wiesinger schließlich und ging voran.
    Paul fiel ein Stein vom Herzen. Um Frau Wiesinger keine Gelegenheit für einen neuen Versuch dieser Art zu geben, wechselte er schnell das Thema, während sie die Gänge der Fabrikationshalle entlangschritten. »Hat sich die Aufregung um den Tod Ihres Schwiegervaters allmählich gelegt?«
    Doro Wiesingers Pfennigabsätze schienen bei jedem Schritt die weißen Bodenfliesen durchbohren zu wollen. »Ach, mein Schwiegerpapa«, sagte sie mit leise anklingender Wehmut.
    »Er konnte herzensgut und charmant sein. Aber – das wissen Sie ja sicher – er war auch ein Tyrann.«
    »Auf jeden Fall ein Mann voller Widersprüche«, bemerkte Paul und war gespannt auf die Reaktion.
    Doro Wiesingers hochgestecktes schwarzes Haar wippte hektisch beim Gehen. »Widersprüche, ja, das trifft es auf den Punkt. Auf der einen Seite hat er jeden Cent umgedreht und war – was den Betrieb anging – knauserig wie ein Schwabe. Auf der anderen Seite hat er Zigtausende in diesen Heimatbund gepumpt und damit Leute unterstützt, die ihn und seine Heimatliebe nur benutzt haben.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Sie erreichten die Ausgangstür der Fabrikhalle. »Die haben meinen Schwiegervater schamlos ausgebeutet«, stellte Doro Wiesinger verärgert fest. »Dieser geleckte Vereinsvorsitzende – Dr. Jungkuntz – ist durch und durch unseriös.«
    Paul zog kaum merklich die Brauen hoch. Doro Wiesinger – in ihrem schrillen und viel zu tief ausgeschnittenen Kleid – vermittelte auch nicht gerade Seriosität.
    »Ich bin sicher, dass mein Schwiegervater nicht der Einzige war, der vom Heimatbund über den Tisch gezogen wurde«, steigerte sich Doro Wiesinger in ihre Hasstirade gegen Jungkuntz hinein. Mit erhobenem Zeigefinger mahnte sie: »Dort sollte die Presse bohren, statt sich lächerlich zu machen mit Klatschgeschichten über meinen Schwiegervater, Andi und mich.«
    »Haben die Schlagzeilen der letzten Tage Ihren Mann wohl sehr getroffen?«, fragte Paul und versuchte, sein wieder aufkeimendes Interesse zu vertuschen.
    Doro Wiesinger winkte ab. »Der lacht sich tot. Wissen Sie: In unserer Position kriegt man irgendwann eine Scheißegal-Haltung. Wir haben uns überlegt: ›Okay, versuchen wir, den Namen Wiesinger nach dem Todesfall möglichst aus der Presse herauszuhalten.‹ Aber das ist völlig unmöglich. Und in einer Woche kräht sowieso kein Hahn mehr danach, weil sich Dieter Bohlen dann wieder mal seinen Penis gebrochen hat und es eine neue Schlagzeile gibt.«
    Die Wiesinger schien leidgeprüft zu sein, denn sie sagte:
    »Die wühlen alle im Schlamm. Im Boulevardgeschäft gibt es keine Ehrenmänner. Titten, Tote, Tiere, Tränen – das sind die vier Ts. So funktioniert es nun mal.«
    Paul sah Doro Wiesinger einige Momente forschend an. Sie hatte unzweifelhaft mehr Charakter, als ihr äußeres Erscheinen und aggressives Auftreten vermuten ließen. Sie war eine Schauspielerin, die sich mit den besonderen Umständen ihres Lebens im Rampenlicht zu arrangieren versuchte. Irgendwie tat sie ihm leid.
    »Sie finden die letzten Meter bis zur Pforte allein?«, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. Paul hatte gerade noch Gelegenheit sich zu verabschieden, als sie sich bereits im flotten Stöckelschritt entfernte.
    Nachdenklich verließ er das Gebäude. Paul fragte sich reichlich verwirrt, was sie mit ihrem merkwürdigen Auftritt ihm gegenüber eigentlich erreichen wollte. Seine Menschenkenntnis, dachte er, hatte ihn in den letzten Tagen oft im Stich gelassen.
    Er hatte die Pforte beinahe

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