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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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Mappe mit einer Auswahl seiner Arbeiten unterm Arm betrat Paul ein lichtdurchflutetes Foyer, mit weißen Wänden und hellen Marmorfliesen, in dem ihn eine junge Frau freundlich begrüßte. Sie war genauso groß wie Paul, also deutlich über einsachtzig, hatte glattes blondes Haar und gepflegte Hände.
    »Herr Jungkuntz freut sich, Ihre Bekanntschaft zu machen – trotz der Kurzfristigkeit Ihrer Anmeldung bei uns«, kürzte sie die Begrüßungsformalitäten ab und geleitete ihn in einen Raum, der genauso wenig seinen Erwartungen von Butzenscheibenromantik entsprach wie alles andere in diesem aufgeschlossenen und modernen Bürohaus.
    Herr Jungkuntz entpuppte sich als adretter Mann von Mitte vierzig mit weitgehend faltenlosem Gesicht, freundlichen, intelligenten Augen und kurz geschnittenen, dunkelblonden Haaren. Er trug ein hellblaues, kurzärmeliges Hemd und eine dezent gestreifte Krawatte.
    »Setzen Sie sich«, sagte er und deutete auf eine Sitzecke, die von gepflegten Grünpflanzen eingefasst war.
    »Danke«, nahm Paul die Aufforderung an. Er legte seine Visitenkarte auf den polierten Tropenholztisch zwischen ihnen und schlug die Mappe mit den Arbeitsproben auf. »Ich bin Ihr Mann, wenn es um authentische Heimatfotos geht.«
    Jungkuntz lächelte offen. »Das weiß ich. Sie sind mir durchaus ein Begriff. Ich schätze vor allem Ihre Aktaufnahmen.«
    Paul war abermals verblüfft. Gerade mit diesem Teil seines Repertoires wollte er hier ganz sicher nicht punkten.
    »Das überrascht Sie?«, fragte Jungkuntz amüsiert. »Ich weiß echte Fotokunst durchaus zu schätzen.« Er beugte sich vor. »Aber sagen Sie mir: Wie sind Ihnen Ihre ungewöhnlich plastischen Schwarzweißaufnahmen aus der Froschperspektive gelungen, die Sie unlängst in der Kunsthalle ausgestellt haben? Von den Fußsohlen aufwärts – wie ist das technisch überhaupt möglich?«
    Paul musste innerlich blitzschnell umdisponieren, sagte dann aber höflich: »Mit einer Glasplatte.«
    »Interessant.«
    »Ich habe zu Hause einen Schreibtisch, der lediglich aus einer verstärkten Glasscheibe besteht, die auf zwei Stützen ruht. Eines Tages kam mir die Idee …«
    »Fantastisch!«, sagte Jungkuntz euphorisch. »Sie haben die Models auf der Platte drapiert und waren selber mit der Kamera darunter. Dadurch wurde auch der liegende Akt aus völlig neuem Blickwinkel möglich. Nochmals: Kompliment!«
    »Meine Modelle haben sich beschwert, weil die Glasplatte so kalt war«, scherzte Paul und war misstrauisch wegen der allzu legeren Atmosphäre.
    »Wissen Sie«, hob Jungkuntz an und kam endlich aufs eigentliche Thema zu sprechen: »Jeder sollte stolz sein auf seine Qualitäten und dazu stehen. So halten wir es auch bei uns im Heimatbund. Ich singe ganz sicher nicht das Lied der Benachteiligten.«
    Paul sprang bereitwillig darauf an: »Es ist ja inzwischen auch verdammt lange her, dass die Freie Reichsstadt Nürnberg vom Königreich Bayern geschluckt wurde, zweihundert Jahre.« Er blickte sein Gegenüber neugierig an. »Sehen Sie sich eigentlich als Nürnberger, als Franke oder als Bayer?«
    Jungkuntz schmunzelte. »Selbstverständlich als Nürnberger. Jeder definiert sich zunächst nach seinem Umfeld, seiner Herkunft und kulturgeschichtlichen Identität. Unsere Zugehörigkeit zu Bayern ist eine historische Tatsache, die wir mit ein klein bisschen emotionaler Ambivalenz tragen, zugegeben.«
    »Unterstützen Sie denn die Jubiläumsfeiern zur zweihundertjährigen Vereinigung mit Bayern?«, fragte Paul.
    »Ach, wissen Sie«, Jungkuntz lehnte sich entspannt zurück. »Wirkliche Franken machen sich ihren eigenen Reim auf die Sache. Ich sehe es als Chance, uns und unsere Geschichte vor einem breiten Publikum darzustellen. Mit Herz und Verstand. Auf allen Ebenen. Ich möchte eigentlich nicht erleben, dass wir dieses historische Datum nur dadurch abhandeln, dass wir Dürer-Gemälde aus München zurückfordern.«
    »Sondern?«, fragte Paul, dem die intelligente und besonnene Art seines Gegenübers allmählich sympathisch wurde.
    »Gerade in den Zeiten der Globalisierung ist es wichtig, sich auf seine Wurzeln zu besinnen, auf die eigene Identität und Regionalgeschichte. Aber es gibt weitaus weniger langweilige Möglichkeiten, unsere Ansprüche auf Selbstbehauptung geltend zu machen, als gebetsmühlenartig die Abspaltung einzufordern. Mir liegt mehr die lässige Art: spielerisch und augenzwinkernd.« Er beugte sich vor. »Hand aufs Herz: Das offizielle Bayern wäre ohne uns Franken

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