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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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Danach griff er beherzt in eine Schale mit geriebenem goldgelbem Käse und krönte das Ganze mit Butterflöckchen.
    »Jetzt schieben wir diese Köstlichkeit in den Ofen und warten eine halbe Stunde«, sagte er zum Finale. »Schön knusprig, in Scheiben geschnitten und mit Salatblättern garniert, wird es zu einem spritzigen, jungen Frankenwein serviert.«
    »Hast du schon einen Namen für diese Kreation?«, wollte Paul wissen.
    Der Koch verneinte. »Noch nicht. Aber das Wort Bratwurst wird auf jeden Fall darin auftauchen.«
    »Oje«, entfuhr es Paul. »Wenn man dich so reden hört, könnte man denken, dass sich Nürnberg niemals von seinem Bratwurst- und Lebkuchenimage verabschieden kann.«
    »Das musst gerade du sagen«, entgegnete der Koch und signalisierte Paul, sich zu setzen. »Du machst doch die Fotoaufnahmen für den neuen Wiesinger-Katalog – da wäre ich an deiner Stelle mit dem Lästern vorsichtig.«
    Paul senkte schuldbewusst den Kopf. »Okay, okay, ich werde mich bessern. Aber mein Interesse an der Wurst an sich ist – obwohl ich sie gern esse – nun mal nicht besonders groß.«
    Jan-Patrick schnippte mit den Fingern, worauf einer seiner Angestellten eine Ladung braun gebratener Würste von einem Rost über einem offenen Holzkohlengrill nahm und auf einem Zinnteller drapierte. Zusammen mit einer stattlichen Portion Meerrettich wurden sie Paul serviert.
    »Ich glaube, du musst noch einiges über die Nürnberger Rostbratwurst lernen«, sagte der Küchenmeister mit der Attitüde eines Oberlehrers und reichte Paul eine Gabel.
    Paul wollte zunächst ablehnen. Denn es war ja bereits das dritte Mal an diesem Tag, dass er Bratwürste vorgesetzt bekam. Doch angesichts der knusprigen Versuchung war sein Appetit schnell wieder geweckt. Paul freute sich auf die nun folgende kulinarische Geschichtsstunde und biss mit Appetit in die erste der dunkel gebratenen Würste.
    »Fangen wir beim Namen an: Die Bezeichnung Bratwurst geht nicht auf die Zubereitungsart, sondern auf das Wort Brät für klein gehacktes Fleisch zurück. Schon sehr früh, im Jahr 1497, verpflichtete eine Wurstverordnung die Metzger dazu, aus einem Nürnberger Pfund – das waren gut fünfhundertsechzig Gramm – fünf Würste zu produzieren.«
    Paul überschlug die Zahlen und fragte: »Dann müssten die Würste doch eigentlich größer sein als bloß sieben Zentimeter, oder?« Der Kontrast im Geschmack zwischen der würzigen Bratwurst und dem scharfen Meerrettich schmeichelte seinem Gaumen.
    Der Koch nickte. »Dass die Würstchen heute nur noch höchstens dreißig Gramm wiegen, liegt vor allem an den damaligen Preiskämpfen: Die Metzger produzierten immer kleinere Würste und konnten so mit der Geldentwertung mithalten.«
    »Dann sind die Schlüsselloch-Theorie und all die anderen schönen Storys bloß Märchen?«, fragte Paul kauend.
    »Schon möglich«, antwortete Jan-Patrick und warf einen kritischen Blick in die Backröhre. »Andererseits beleben solche Legenden das Geschäft. Man sollte sie also tunlichst am Leben erhalten. – Schließlich klingen einige von ihnen wirklich überzeugend …«, fügte er verschmitzt hinzu.
    »Wie dem auch sei«, sagte Paul gut gelaunt, »unsere Nürnberger schmecken jedenfalls wie eh und je besser als jede andere Wurst der Welt.«
    »Das lass besser nicht die Coburger hören«, sagte Jan-Patrick augenzwinkernd. »Die sind mindestens genauso stolz auf ihre eigene Wurst.«
    Paul tauchte das dritte Würstchen in den kleinen Rest der scharfen weißen Beigabe und scherzte: »Die Bratwurst ist der knusprige Spiegel der fränkischen Seele. Kein anderer Gegenstand verkörpert jede Nuance des anspruchsvollen fränkischen Wesens mehr als diese Wurst.«
    »Das hast du schön gesagt.« Jan-Patrick streifte seine Hände an der Schürze ab. »Man könnte auch sagen: Eine Rostbratwurst ist sieben Zentimeter Nürnberg.« Er lachte über seine eigene Pointe und wurde dann nachdenklich: »Eigentlich schade, dass du dir deine Würstchen zu Hause immer noch selbst braten musst.«
    Paul biss abermals zu. »Zu Hause gibt es bei mir keine Wurst.«
    Jan-Patrick setzte sich zu ihm. »Ich weiß. Du bist der ewige Single. Aber ich frage mich ernstlich, ob es dir auf Dauer ausreichen wird, mit dem ein oder anderen Model ins Bett zu steigen.«
    Paul verschluckte sich am nächsten Bissen. Er hustete und sagte belustigt: »Die Mädchen, die bei mir auftauchen, wollen einfach nur ihre Fotos, und das war es. Abgesehen davon würden mir solche

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