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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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Kaugummi?«, fragte Paul mit gespieltem Zorn. »Wie kann es jemand wagen, Nürnbergs wichtigsten Heiligen so schnöde zu verunglimpfen?«
    »Lach nur«, sagte Fink und wedelte drohend mit dem Zeigefinger. »Dem armen St. Sebald wird viel zu oft unrecht getan. Man hat sich diesem Mann von jeher entschieden zu wenig gewidmet.«
    »Wieso? Der Kaugummiweitspucker hat sich ihm doch sehr intensiv gewidmet«, frotzelte Paul weiter.
    Fink zog ein Taschentuch aus seiner Hose und tupfte sich die schweißnasse Stirn ab. Dann richtete er seine großen, leicht hervorstehenden Augen auf die Steinfigur und sagte leise: »Du weißt genau, was ich meine: St. Sebald ist ein Heiliger, über den man so gut wie nichts weiß, weil nie ausreichend Forschungsarbeit über ihn betrieben wurde.«
    »Was soll das heißen?«, wollte Paul wissen.
    »Der Mann ist ein Mysterium«, sagte Fink, »von seinem irdischen Lebensweg ist uns fast nichts bekannt.«
    »Immerhin ist er der Namensgeber für eine Kirche, einen Stadtteil, ja sogar für einen Wald.«
    »Von Sebaldus selbst aber kennen wir weder Herkunft, Geburts- noch genaues Sterbedatum. Wir wissen nichts von seinem Wohnsitz, nichts von seinem Beruf, schon gar nichts von seinen Familienverhältnissen. Nur seine Wunder, über die wir neulich sprachen, sind überliefert.«
    »Es bleibt also ein Rätsel.«
    »Absolut – eines der größten und geheimnisvollsten dieser Stadt.« Fink legte seinen Kopf in den Nacken und sah bewundernd zu der steinernen Figur empor. »Nürnberg taucht im Jahr 1050 das erste Mal in den Geschichtsbüchern auf. Kaum zwanzig Jahre später werden Pilgerströme zum Grab des wunderwirkenden St. Sebald erwähnt. Die Stadt beginnt daraufhin zu florieren und zu wachsen, denn Pilger leben ja nicht allein von Luft und Heiligenverehrung. Ganz besonders haben davon später die Bratwurstküchen profitiert.«
    »Ich weiß«, sagte Paul amüsiert. »Und damit wären wir nämlich bei meinem aktuellen Lieblingsthema.«
    »Bitte?«, fragte Fink irritiert.
    »Bei der Bratwurst.« Paul kniff verschmitzt die Augen zusammen und dachte an die Andeutung, die Jan-Patrick neulich gemacht hatte. »Meinst du ernsthaft, es gibt Zusammenhänge zwischen Sebaldus’ Wirken und dem Entstehen der Rostbratwurst?«
    Fink deutete eine Kopfbewegung an, die Paul sowohl als Zustimmung als auch als Ablehnung deuten konnte. Mit gewisser Ehrfurcht betrachtete Paul das in Stein gehauene Bildnis des Stadtheiligen und ließ den weisen, ernsten Blick im schmalen Gesicht des Vollbärtigen auf sich wirken. »Wenn er tatsächlich etwas mit der Erfindung der Nürnberger Rostbratwurst zu tun hatte, hätte er sich seinen Platz als Stadtheiliger doppelt verdient.«
    Dann zog er den Brief aus seiner Hosentasche. »Ich habe hier ein sehr irdisches und sehr konkretes Problem zu lösen – mit oder ohne die Hilfe des heiligen Sebaldus brauche ich deinen Rat.«
    Ein interessiertes Funkeln trat in die dunklen Augen des Geistlichen. »Was gibt es denn?«
    Paul erläuterte ihm die Sache, ohne dabei allzu sehr ins Detail zu gehen. Dann nahm er wie zur Bestätigung seiner Ausführungen den Brief aus der Tasche und hielt ihn Fink entgegen: »Nun? Kennst du jemanden, der ihn übersetzen könnte?«
    »Ja«, sagte der Pfarrer spontan und schnappte sich den Brief. »Komm mit ins Pfarrhaus. Ich werde das selbst übernehmen.«
    Unterwegs ins alte Pfarrhaus direkt gegenüber der Kirche am Sebalder Platz erfuhr Paul, dass Fink zwar – selbstverständlich – das Lateinische beherrschte, aber ebenso vertraut mit der französischen Sprache war.
    »Die Liebe zu einer Französin war damals der Auslöser«, erzählte Fink lächelnd, während er Paul in sein mit Büchern und Dürer-Drucken vollgestopftes Arbeitszimmer führte.
    »Das Land und seine Sprache haben mich seither nicht losgelassen.« Der Pfarrer kramte eine unscheinbare Lesebrille aus seiner Schreibtischschublade und entfaltete Antoinettes Brief. Paul – gleichermaßen gespannt wie beunruhigt – folgte mit seinen Blicken dem dicken Zeigefinger des Pfarrers, der beim Lesen über die Zeilen fuhr.
     
    Liebe Tante, ich weiß, dass ich viel zu lange nichts von mir hören lassen habe. Wie geht es euch in Grimaud? Laufen deine Geschäfte gut oder schreckt die Hitze die Touristen ab? Bei euch ist es sicher noch heißer als hier bei uns. Nicht dass es nicht schön wäre, hier in Nürnberg. Die Stadt ist große Klasse, glaube mir – und das nicht nur wegen der Bratwürste! Aber mein Heimweh

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