Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
sogleich zu dem unrasierten Playmobilmann: Blohfeld. »Und was ist mit dem Mordfall Antoinette?«, fragte Paul zögernd.
Katinka sah ihn verdutzt an. »Warum? Alles bleibt natürlich beim Alten. Es gibt keine Zusammenhänge zwischen den Morden.« Sie legte Paul besänftigend die Hand auf die Schulter. »Du wirst endlich einsehen müssen, dass dein Freund Blohfeld – wenn auch vielleicht nur im Affekt – einen Mord begangen hat.«
»Er ist nicht mein …«, hob Paul kraftlos an, sprach aber nicht zu Ende.
34
Der Mittwoch begann schwül und drückend. Zwischen einem mit Obatzter bestrichenen Brötchen und einem Stoß ausgedruckter Interneteinträge über den Schönen Hans und den Heimatbund platzierte Paul seine Playmobilfreunde. Er nahm die hübsche Blondine zur Hand und stieß mit ihr gegen die Figur im Anzug und mit Koffer: Jungkuntz fiel um.
Eine Woche nach dem ersten Mord hatte Katinka also ihre Schuldigen gefunden. Beide Morde galten aus ihrer Sicht als geklärt, und Paul konnte nicht umhin, ihr in gewisser Weise zuzustimmen. Es passte wirklich alles zusammen. Es gab Motive, es gab Beweismittel, es gab Belastungszeugen …
Paul biss in sein Brötchen. Der gut gewürzte Streichkäse kam seinem Appetit sehr gelegen. Nach einem weiteren großen Bissen ließ er seine Finger über die Figuren gleiten. Er hob das Mädchen mit den Zöpfen auf und betrachtete es traurig: Antoinette.
Dann wanderten seine Blicke widerstrebend in Richtung seines Sofas, auf dem Blohfeld saß, lustlos in einer Zeitschrift blätterte und statt eines Frühstücks Pauls letzte Kartoffelchipsreserve aß. Paul würde sich dringend Gedanken darüber machen müssen, wie es mit ihrer gemeinsamen Zwangs-WG weitergehen sollte. Doch selbst wenn Katinkas Argumentation noch so einleuchtend sein mochte, war er nicht bereit, den Reporter zu verraten. Es gab noch immer zu viele Fragezeichen. Allein das Rätsel um Antoinettes Brief bot Anlass genug, Blohfelds Versteck vorerst geheim zu halten.
Wie war das noch? Paul legte die Plastikfigur beiseite und suchte seinen Schreibtisch nach dem Brief ab. Er faltete ihn auf und rief sich die kärglichen Übersetzungsversuche von Jan-Patrick in Erinnerung. »Bratwurst« hatte er aus der winzigen Schrift der Französin herausgelesen. Und »Vater«.
Meine Güte, dachte Paul, wie sollte er sich nun bloß verhalten?
Er brauchte endlich einen diskreten und dennoch kompetenten Übersetzer. Denn noch mochte Katinka mit der Verhaftung von Dr. Jungkuntz beschäftigt sein, aber ganz sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis sie ihm wegen Blohfeld auf den Zahn fühlen würde. Am Ende würde es ein Leichtes für sie sein, Blohfelds Exil in seinem Atelier ausfindig zu machen. Es grenzte ohnehin an ein Wunder, dass sie es noch nicht getan hatte.
Er steckte den Brief in die Hosentasche. »Blohfeld«, sagte er möglichst beiläufig, »ich gehe in die Stadt. Brauchen Sie irgendetwas?«
»Ja, meine Freiheit«, kam es bärbeißig vom Sofa zurück. »Was für einen Brief verstecken Sie da eigentlich so beharrlich vor mir?«
»Das möchte ich Ihnen lieber nicht verraten«, sagte Paul ehrlich.
Blohfeld sah zu ihm auf. Sein spitzes Gesicht war noch fahler als sonst, seine Augen wirkten müde und hoffnungslos. »Sehen Sie zu, dass Sie endlich einen Beweis für meine Unschuld finden. Ich bin Käfighaltung nicht gewohnt.«
Paul trat vor das Haus, freute sich über die frechen Spatzen, die die Gäste vorm Café Sebald ärgerten, und schlug den direkten Weg zur Sebalduskirche ein.
Den, den er suchte, traf er wider Erwarten nicht in, sondern vor der Kirche an. Pfarrer Fink stand auf einer sehr wackeligen Leiter und betrachtete die Steinmetzarbeiten an der Flanke des Brautportals.
»Ist mit Good Old Sebald irgendetwas nicht in Ordnung?«, erkundigte sich Paul laut, worauf sich Hannes Fink erstaunt umsah und beinahe das Gleichgewicht verlor.
Das in Stein gehauene Relief des Stadtheiligen zeichnete sich nicht nur durch einen auffällig großen Pilgerhut mit einer prachtvollen Muschel in Stirnhöhe aus, sondern auch dadurch, dass St. Sebald hier ein steinernes Miniaturmodell der Kirche in der rechten Hand trug. Wie Paul bemerkte, war Fink gerade damit beschäftigt, etwas von dem faltenumsäumten Rock des Heiligen zu entfernen.
»Kannst du mir erklären, wie es jemand schaffen kann, hier oben einen Kaugummi hinzupappen?«, fragte er. Langsam bewegte der Pfarrer seinen fülligen Körper die Leiter herab.
»Einen
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