Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
Vom Netzwerk:
Pirckheimerstraße einplanen sollte. Es war kurz nach zwei. Ihm stand der Sinn nach sommerlich leichter italienischer Küche ohne viel Brimborium, und er wusste, dass er genau diese in der L’Osterìa bekommen würde. Dort gab es nicht nur die besten, sondern auch die größten Pizzen der Stadt. Pizza Rucola war sein Favorit. Und dazu würde er sich ein leichtes Weizenbier gönnen, um die verbrauchten Mineralien in den Körper zurückzuschwemmen.
    Mit diesen versöhnlichen Gedanken war er der Realität allerdings um einige Kilometer voraus, denn schon am Naturgartenbad endete seine Fahrt vorläufig. Er nahm sie im quirligen Treiben der vor den Kassen anstehenden Jugendlichen zunächst nur aus den Augenwinkeln wahr, und das noch dazu gehandicapt, weil ihm gerade eine Schweißperle von der Stirn in die Augen gelaufen war. Paul sah zuerst nur ihre unverwechselbare Lockenpracht, und dann erkannte er auch ihre Stimme.
    »Hannah?«, rief er, als er beide Bremsen betätigte und das Rad neben dem Kassenhaus des Bades ausrollen ließ.
    Hannah Blohms Gesichtsausdruck sprach Bände. Katinkas Tochter schien nicht begeistert zu sein, im Kreise ihrer jugendlichen Freunde von Paul angesprochen zu werden. Paul malte sich ihre Befürchtungen aus: Hoffentlich denkt niemand, dass ich etwas mit diesem Typ habe – er könnte ja mein Vater sein.
    Stattdessen sagte Hannah allerdings etwas ganz anderes. Ihre Gesichtszüge klarten erstaunlicherweise auf, als sie sich einem Mädchen an ihrer Seite zuwandte und erklärte: »Das ist Paul Flemming. Der Fotograf, von dem ich dir erzählt habe.«
    Das Mädchen, eine attraktive Erscheinung mit dunklem, leicht gewelltem Haar und melancholischen Augen, lächelte Paul erwartungsfroh an. Sie hatte lange magere Beine, die sie mit kokettierender Ungeschicktheit kreuzte, als ständen sie sich gegenseitig im Wege.
    »Antoinette«, stellte Hannah sie vor, »französische Gaststudentin und meine Mitbewohnerin. Sie hat nach dem Semesterende einige Wochen drangehängt, um bei uns Land und Leute besser kennen zu lernen.«
    »Mitbewohnerin?«, erkundigte sich Paul. »Deine Mutter hat mir schon gesagt, dass du ausgezogen bist, aber eine Mitbewohnerin hat sie nicht erwähnt.«
    »Ja, ja, typisch Mami«, winkte Hannah ab. »Wie sollte ich eine eigene Wohnung denn sonst finanzieren?«
    »Du hättest ja nicht auszuziehen brauchen«, merkte Paul vorsichtig an.
    »Nicht?«, entgegnete Hannah schroff. »Sie ist es doch gewesen, die mit dem Drängen angefangen hat! Katinka hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Es konnte ihr plötzlich nicht schnell genug gehen. Demnächst muss ich wahrscheinlich noch entscheiden, welche meiner Puppen überleben darf und ob das Schulzeug aus der ersten Klasse zu Altpapier wird oder Teil meiner Memoiren.«
    Paul beschloss, nicht näher auf diese Familienangelegenheit einzugehen und sich stattdessen Hannahs neuer Freundin zuzuwenden. »Freut mich«, sagte er. Da ihre rechte Hand verbunden war, reichte sie ihm ihre linke. Die Hand verschwand fast vollständig in seiner, und als er sie für Sekunden drückte, spürte er die Zartheit ihrer Finger. Antoinettes Augen waren ungewöhnlich groß und dominierten ihr zart geschnittenes Gesicht. Ihre Nase wollte nicht so recht zum Rest passen: Sie war eine Nummer zu groß geraten, fand Paul, der froh war, diesem Idealbild einer heranreifenden Frau zumindest ein kleines Manko abtrotzen zu können.
    Antoinette war lässig gekleidet. Ein schlichtes weißes Kleid, für eine Studentin gerade passend. Sie trug einen winzigen, in der Sonne funkelnden Stein im linken Nasenflügel. Ansonsten verzichtete sie – im Gegensatz zu Hannah – auf Attribute der Jugend wie Tattoos oder Bauchnabelpiercing. Paul bewunderte verstohlen ihre reizvolle Figur. Aufgepasst, ermahnte er sich: An einer so charmanten Versuchung konnten sich mittelalte Herren wie er sehr leicht die Finger verbrennen.
    Hannah schien die gleichen Gedanken zu haben, denn sie sagte scharf: »Sie können ihre Hand jetzt wieder loslassen.«
    Paul fühlte sich ertappt und schreckte zurück.
    »Lass nur«, sagte Antoinette zu Hannah. Dann wandte sie langsam den Kopf und lächelte Paul zuversichtlich an. »Ich habe gehört, Sie können mir eventuell zu einem Zeitungsjob verhelfen?«, fragte sie mit kaum wahrnehmbarem französischem Akzent.
    »Wo haben Sie so gutes Deutsch gelernt?«, wollte Paul zunächst wissen.
    Antoinette lächelte gewinnend. »Wissen Sie, meine Familie hatte immer viel Kontakt

Weitere Kostenlose Bücher