Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Türrahmen. Ihre Locken klebten ihr feucht an der Stirn.
»Ich bin gerade mit dem Fahrrad gekommen«, sagte sie zur Erklärung ihres Outfits.
»Das habe ich mir beinahe gedacht«, entgegnete Paul knapp.
»Was ist?«, fragte Hannah irritiert. »Wollen Sie mich nicht mit nach oben nehmen?«
»Was willst du denn bei mir?«
Hannah stemmte ihre Fäuste in die Hüften. »Na, das ist ja eine tolle Begrüßung! Ich dachte, Sie freuen sich, wenn Sie mal Besuch von einem jungen knackigen Mädel bekommen.«
Paul lächelte sie gekünstelt an. Keinesfalls durfte er Hannah in sein Atelier gelangen lassen. Sie würde sofort wissen, woher der Wind wehte, und Blohfelds Spuren entdecken. »Es passt gerade nicht so gut, Hannah«, sagte er.
Hannah nestelte an ihrem Oberteil. »Ich bin total ausgepowert. Kann ich mich nicht wenigstens kurz bei Ihnen frisch machen?«
Paul stieß die Haustür wieder auf. »Nein.«
Hannah neigte misstrauisch den Kopf. »Sie haben wohl schon Damenbesuch?«
»Und wenn es so wäre, würde es dich nichts angehen.«
Paul sah Hannah an, und es freute ihn, dass sie sich nach Antoinettes Tod relativ schnell gefangen hatte und wieder ganz die Alte war.
Sie ließ sich an der kahlen Flurwand hinabgleiten und setzte sich auf eine Treppenstufe. »Okay«, sagte sie. »Dann reden wir eben hier. Ich brauche zehn Minuten Pause von der Hitze.«
Paul nickte und setzte sich neben sie. Hannah war offenbar in Plauderlaune, denn sie erzählte viel über ihr Studium. Paul bezweifelte zwar, dass dieses Thema der wirkliche Grund ihres Kommens war, ging aber darauf ein.
Hannah zupfte sich kokett an einer ihrer Locken, als sie sagte: »Mama ist ziemlich sauer auf Sie, weil Sie sich dauernd einmischen.«
Paul zog unmerklich die Brauen hoch. Er wandte den Blick ab. »Ich kann es ihr nicht mal verübeln, wenn sie so empfindet«, sagte er kleinlaut. »Man greift nicht in eine Morduntersuchung ein und unterschlägt bei jeder Gelegenheit Beweismaterial.« Nun blickte er Hannah direkt in die Augen. »Frag mich bloß nicht, warum ich das tue. Warum, zum Kuckuck, ich meine Nase immer in Dinge stecken muss, in denen sie nichts zu suchen hat.« Er stützte sein Kinn auf seine Hände.
»Vielleicht meinst du, es sei Abenteuerlust. Oder die verfrühten Anzeichen einer Midlifecrisis?« Er zwinkerte Hannah zu. »Nein, nein, ist es nicht. Es ist Dummheit. Pure Dummheit. Oder mindestens zu neunzig Prozent.«
»Und die übrigen zehn Prozent?«, wollte Hannah wissen.
Paul schmunzelte. »Fünf Prozent Neugierde und die restlichen fünf Prozent, tja …«
»Tja was?«
»Wie kann es anders sein – die restlichen fünf Prozent sind natürlich eine Frau.«
»Sie machen mich neugierig«, funkelte ihn Hannah an. »Wem wollen Sie imponieren?«
Paul lachte auf. Darauf musste seine forsche Begleiterin schon allein kommen. Noch besser wäre es natürlich, wenn Katinka es erkennen würde, dachte er mit einem Anflug von Selbstmitleid. Aber sie würde ihm wohl kaum so schnell eine neue Chance geben.
»Also gut«, unterbrach Hannah seine Gedanken. »Ihre Begründung gefällt mir. Damit kann ich etwas anfangen. Wie sehen also unsere Pläne aus?«
»Unsere Pläne?« Paul wusste beim besten Willen nicht, worauf das Mädchen hinauswollte.
»Ich kenne Sie mittlerweile ja auch schon eine Weile, Flemming.« Hannah sah ihn eindringlich an. »Ich weiß, dass Sie es nicht ertragen könnten, wenn Antoinettes Tod ungesühnt bleibt.«
»Nun …«
»Ich finde es ebenfalls unerträglich, dass sich alles um die Wiesingers dreht und Antoinette nur eine unbedeutende Nebenfigur zu sein scheint. Was ist aus dem Brief geworden, den Sie bei mir gefunden haben?«
Paul musste ihr alles, was er wusste, haarklein berichten. Während seines Berichts schüttelte sie immer wieder ungläubig den Kopf. Dann erzählte er ihr noch von dem Gespräch, das er vor Gernot Basses Büro belauscht hatte.
Nachdenklich knabberte Hannah am Daumennagel. »Weiß Mama davon?«
»Bisher nicht«, sagte Paul leise.
»Sie würden ihr gern den komplett aufgeklärten Fall servieren, um sie zu beeindrucken, ja?«, folgerte Hannah.
Paul schlug die Augen nieder. »Vielleicht hast du ein ganz klein wenig Recht mit deiner Vermutung.«
Hannah blieb zunächst in ihrer zusammengesunkenen Haltung sitzen. »Schön und gut«, setzte sie dann an. »Sie haben jetzt eine ganze Menge Stückwerk gesammelt, und alles hängt irgendwie mit der Bratwurst zusammen: Dieser Jungkuntz zog wahrscheinlich
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