Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Bratwurstkönig Wiesinger über den Tisch, Antoinette war seine heimliche Tochter und wusste vielleicht durch Blohfeld von ein paar Ungereimtheiten bei den Wiesingers, und dieser untergetauchte Ex-Mitarbeiter wiederum wusste angeblich etwas über üble Machenschaften in der Bratwurstproduktion der Firma. Vermutlich wird da minderwertiges Fleisch verarbeitet.« Sie blickte ihn auffordernd an. »Warum also hocken wir uns nicht einfach vor der Wiesinger-Fabrik auf die Lauer und schauen, worin das große Geheimnis wirklich liegt?«
Paul sah Hannah verblüfft an. Er wollte schon dankend ablehnen, aber dann gefiel ihm der Einfall, gerade weil er so absurd war. »Wann?«, fragte er schließlich.
»Heute Nacht«, sagte Hannah bestimmt. »Oder zu welcher Tageszeit würden Sie Gammelfleisch anliefern?«
Paul lachte herzhaft, woraufhin ihn Hannah kräftig in den Oberarm boxte.
»Es ist mir Ernst damit«, sagte sie selbstbewusst. »Das bin ich Antoinette schuldig.«
39
Sie trafen sich gegen neun Uhr abends, um ihre ganz persönliche und völlig unvernünftige Bratwurstschwindel-Aufklärungsaktion zu starten. Paul holte Hannah mit seinem Renault vorm Noricus ab. Schweigend fuhren sie zur Wiesinger-Fabrik und suchten nach einem geeigneten Platz für ihre heimliche Observierung.
Diesmal trug Hannah eine dunkle Jeans und ein braves graues T-Shirt. Ihre Locken hatte sie zu einem stramm gekämmten Zopf gebändigt. Ihr Blick war ernst und fest entschlossen.
»Du denkst noch häufig an sie, habe ich Recht?«, erkundigte sich Paul behutsam, nachdem er den Wagen vor einer Plakatwand unter einer dicht belaubten Linde unmittelbar gegenüber der Hauptzufahrt der Fabrik abgestellt hatte.
Hannah nickte zögerlich. »Natürlich«, sagte sie leise. »Zumindest möchte ich endlich wissen, warum sie sterben musste.«
»Das möchte ich auch«, sagte Paul mitfühlend.
Es wollte nicht dunkel werden an diesem Abend. Paul und Hannah vertrieben sich die Zeit mit Radiohören. Später holte Hannah für sie beide zwei Pizzaecken von einem italienischen Imbiss ein paar Straßenecken weiter. An der Zufahrt der Wiesinger-Fabrik tat sich währenddessen rein gar nichts.
Die Zeit verstrich.
Paul schaute auf die Uhr: Es ging auf Mitternacht zu. Die beiden gerieten in einen sich steigernden Konflikt über das Radioprogramm. Paul wollte, um nicht einzuschlafen, Nachrichten auf Bayern 5 aktuell hören, während Hannah Hitradio N 1 vorzog. Sie hatten sich gerade in bester Streitlaune hochgeschaukelt, als sie auf das Dröhnen eines Lkws aufmerksam wurden.
»Jetzt wird es Ernst«, sagte Paul und rutschte langsam in seinem Sitz hinunter, um sich kleiner zu machen.
Hannah tat es ihm gleich, verrenkte aber dabei den Kopf, um mehr sehen zu können. »Ein Kühl-Lkw«, stellte sie fest.
Der Lastwagen reduzierte sein Tempo, so dass sie beide einen Blick auf den weißen Kastenaufbau werfen konnten. Der Wagen trug keine Werbeaufschrift oder sonstige Hinweise auf die Fracht.
»Das ist wirklich ziemlich verdächtig«, raunte Paul Hannah zu. »Ich glaube, du hattest den richtigen Riecher.«
Der Lkw stand jetzt genau zwischen ihnen und dem Werktor. Etwa eine Minute lang geschah nichts. Paul und Hannah kauerten unruhig in ihren Sitzen. Dann wurde die Beifahrertür des Lasters geöffnet. Paul konnte erkennen, wie sich eine hoch gewachsene Gestalt aus der Kabine hievte. Beim näheren Hinsehen identifizierte Paul sie als kräftigen, vollbärtigen Mann im Blaumann.
Zu Pauls großem Missfallen ging der Kraftprotz nicht etwa aufs Wiesinger-Tor, sondern direkt auf ihr Auto zu. Paul zog den Kopf ein, doch es war unmöglich, sich auf eine so geringe Distanz unsichtbar zu machen. Ehe er dazu kam, sich einen Fluchtplan auszudenken, stand der Mann neben ihrem Wagen und klopfte an die Fahrerscheibe.
Paul wechselte mit Hannah einen unschlüssigen Blick. Dann kurbelte er die Scheibe herunter.
»Äh ja?«, war alles, was Paul imstande war zu sagen.
»Tschuldigung!«, brummte der Riese und rieb sich den Bart. »Unser Navi hat den Geist aufgegeben.«
»Ihr Navi?«, fragte Paul befremdlich.
Der Mann nickte bedächtig. »Können Sie uns den Weg zur Schöller Eisfabrik beschreiben? Wir sind spät dran.«
Ohne weiter darüber nachzudenken, spulte Paul die Wegbeschreibung herunter, woraufhin sich der Riese bedankte und wieder in seinen Laster stieg. Mit lautem Röhren setzte sich der Lkw in Bewegung und verschwand um die nächste Ecke.
Paul klappte seinen Mund mehrmals auf und
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