Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Pferdeschwanz schwingen. »Der gute Gottfried ist längst nicht mehr in Amt und Würden. Bis auf seltene Ausnahmen, so wie diese. Für die Familie Henlein hat er viel getan: Er war die gute Seele des Paares.«
Auf Pauls interessierten Blick hin ergänzte Fink: »Henlein war ein Nichts in den Nachkriegswirren. Eine Waise unter hunderten. Hertel hat sich seiner aus Nächstenliebe angenommen. Er half ihm, über die schweren Anfangsjahre hinwegzukommen. Und diese Bindung hat all die Zeit überdauert.«
Paul hätte gern länger mit Fink geplaudert, aber Blohfeld machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Unsanft stieß ihn der Reporter in die Rippen. »Ich bin gerade angepiepst worden«, zischte er.
»Und ich unterhalte mich«, entgegnete Paul, verärgert über die Unterbrechung.
»Dann beenden Sie eben die Unterhaltung«, befahl Blohfeld.
Ehe Paul Einwände äußern konnte, fuhr er fort:
»Wir haben einen neuen Auftrag. Einen Mord. Im Germanischen Nationalmuseum!«
Paul spürte die Zornesröte in sich aufsteigen. Würde er Blohfeld und seine Macken nicht so genau kennen, hätte er ihm gehörig die Leviten gelesen. So aber beließ er es bei einem wütenden Blick und einem entschuldigenden Achselzucken in Richtung Fink, der mit einsichtigem Lächeln nickte, so dass sich Paul Blohfeld ohne schlechtes Gewissen anschließen konnte. Eilig verließen sie den Friedhof.
»Was denn für ein Mord? Und warum ausgerechnet im Germanischen Nationalmuseum?«, fragte Paul gehetzt.
»Warum denn nicht im Museum?«, entgegnete Blohfeld schnodderig. »Im GNM zu sterben, ist doch nicht die schlechteste Wahl.«
»Sehr witzig. Wissen Sie schon, wer der oder die Tote ist?«
»Ein Mitarbeiter des Museums«, keuchte Blohfeld beim Laufen.
16
Sie stellten den Wagen im Parkhaus Sterntor ab und hatten es nun eilig, zum Germanischen Nationalmuseum zu gelangen. Der Tag war inzwischen weit vorangeschritten, und die Sonne begann, hinter den Giebeln zu verschwinden. Paul und Blohfeld durchquerten die von weißen Säulen umsäumte Straße der Menschenrechte und gingen direkt auf das gläserne Entree des Museums zu. Mehrere Polizeifahrzeuge und zwei Krankenwagen standen zwischen den Säulen, bei einigen blitzten noch die Blaulichter.
Blohfeld hielt einem Uniformierten am Eingang seinen Presseausweis unter die Nase, worauf sie durchgewinkt wurden.
»Haben die Ihnen schon irgendwelche Details genannt?«, wollte Paul wissen, als sie die riesige Empfangshalle betraten. Das moderne, ganz in weiß gehaltene Foyer erstreckte sich über mehrere Stockwerke und wurde von einem Glasdach abgeschlossen, das sich in kühnem Bogen über die Halle spannte. In dem Raum standen sorgsam platzierte, matt silberne Pflanzenkübel und ein Ensemble farbenfroher Designersofas. Ein Blickfang in knalligem Gelb, Blau und Rot.
Auf dem roten Sofa entdeckte Paul eine Frau mit langen blonden Haaren, die offenbar in ein Telefongespräch vertieft war und ihnen den Rücken zuwandte.
Ohne Blohfelds Antwort abzuwarten, ließ er ihn stehen und ging geradewegs auf das Sofa zu.
»Hallo«, sagte er, als sie ihr Handy beiseite gelegt hatte.
Katinka erhob sich von dem Ledersofa. »Wenn ich Zynikerin wäre, würde ich jetzt sagen: Der Tote ist noch nicht einmal ganz kalt, aber die Presse ist schon da.« Bevor Paul oder der hinter ihm stehende Blohfeld überhaupt etwas fragen konnte, hob Katinka schon abwehrend die Hände: »Keine Chance. Ich kann euch da nicht hineinlassen. Hier hat jemand eine ziemlich große Sauerei angerichtet. So etwas ist mir in all meinen Nürnberger Jahren nicht untergekommen. Euren Lesern könnt ihr ein solches Bild jedenfalls nicht zumuten.«
Paul spürte genau, wie erregt und nervös Katinka war. Offenbar hatte sie Schlimmes gesehen, und Paul verstand nur zu gut, dass sie den Tatort vor der Öffentlichkeit abschirmen wollte.
»Jetzt seien Sie mal nicht allzu übereifrig. Überlassen Sie ruhig uns die Entscheidung darüber, was man der Öffentlichkeit zumuten kann und was nicht«, mischte sich Blohfeld in belehrendem Tonfall ein. »Wir haben das Recht auf Berichterstattung – und Sie übrigens die Pflicht, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen.«
»Das ist Auslegungssache«, sagte Katinka scharf und verschränkte die Arme.
»Keineswegs. Muss ich Sie etwa daran erinnern, dass die Pressefreiheit im Grundgesetz verankert ist?«
»Jede Freiheit hat ihre Grenzen!«
»Stopp!« Paul hob schlichtend die Hände und stellte sich zwischen die beiden
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