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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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Karten für die Thronfolge neu gemischt werden konnten.
    Ein stichhaltiges Motiv hätte die als besonders ehrgeizig geltende Gräfin Luise von Hochberg haben können: Ihre Ehe als zweite Frau des Markgrafen Carl Friedrich war nicht standesgemäß, daher hatten ihre Söhne auch keinen Anspruch auf den Thron. Es sei denn: Es gäbe keine männlichen Nachkommen aus erster Linie. Seltsamerweise starben alle männlichen Erbfolgeberechtigten der Zähringer-Linie – insgesamt sieben Tote aus vier Generationen! Mit dem Ausschalten von Hauser – so Feuerbachs Hypothese – war der Weg endlich frei für die Hochberg-Linie und Luises Sohn Leopold. Dieser konnte 1830 auch tatsächlich den Thron besteigen.
    Der kürzlich bei einem Verkehrsunfall verstorbene Nürnberger Hauser-Forscher Franz H. war bekennender Anhänger dieser Theorie. Eine Überprüfung von Feuerbachs These blieb H. allerdings – wie anderen Hauser-Experten auch – verwehrt: Das Haus Baden lässt noch immer keine Untersuchungen in der Familiengruft zu. . .«
    Paul hatte den Artikel noch nicht zu Ende gelesen, doch ein Blick auf seine Armbanduhr mahnte ihn, dass es an der Zeit war. Er musste sich schleunigst in seinen inzwischen viel zu engen, schwarzen Anzug zwängen.
    15
    Paul näherte sich der Trauergemeinde zögerlich. Am Nachmittag war der Himmel merklich zugezogen – als wollte er die angebrachte, eher düstere Atmosphäre für die Trauerfeier schaffen. Auf Friedhöfen fühlte sich Paul immer unwohl und konnte sie nicht unbefangen betreten. Selbst eine Anlage von parkähnlicher Größe wie der Südfriedhof beeinträchtigte seine Stimmung erheblich.
    Seine Kamera hielt er unter dem Mantel verborgen. Er würde sie erst hervorholen, wenn er entweder einen unauffälligen Platz zwischen den Trauernden oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, hinter einem Baum gefunden hatte.
    Ungefähr zwei Dutzend Gäste hatten sich an dem noch offenen Grab eingefunden. Frau Henlein stach mit ihren hellen Haaren, die unter ihrem durchsichtigen Trauerflor leuchteten, aus der Menge heraus. Sie hatte ihren drallen Körper in ein knappes schwarzes Kostüm gezwängt und trippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen.
    Die anderen Trauernden kannte Paul nicht namentlich, aber einige Gesichter kamen ihm bekannt vor. Blohfeld, der wie angekündigt auch anwesend war, hatte sich einen Platz nahe dem Pfarrer gesucht und bemühte sich ungeschickt, seinen Notizblock zu verbergen.
    Der Pfarrer – Paul stutzte überrascht: Der Mann war eindeutig jenseits der Pensionsgrenze. Er war ein groß gewachsener Herr im schwarzen Talar und trug sein volles, weißes Haar auf der linken Seite gescheitelt. Sein Gesicht war kantig.
    Vorsichtig zog Paul seine Kamera unter dem Mantel hervor und begann zu fotografieren.
    »Im festen Glauben«, tönte der Pfarrer, »hoffen wir auf die Verheißung deines eingeborenen Sohnes, der gesagt hat: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Jeder, der im Glauben an mich lebt, wird nicht sterben in Ewigkeit. . .« Er setzte seine Trauerrede, die er – soweit Paul wusste – bereits in der Kapelle begonnen hatte, fort, während Mitarbeiter des Bestattungsinstituts mit pietätvoller Gemächlichkeit damit begannen, den Sarg in die Grube abzusenken.
    »Wir haben uns hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von einem besonderen Mann – einem Mann mit ungewöhnlicher Biografie . . .«
    Paul machte Aufnahmen von der Witwe und den weiteren Trauergästen.
    ». . . durch die heilige Taufe werden wir in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen. Franz Henlein war ein Kind Gottes, das zeitlebens darüber besorgt gewesen war, dass es die kostbare Zeremonie der Taufe erst in so späten Jahren erfahren konnte – denn Franz Henlein war eine Waise unbekannter Herkunft. Doch ich sage euch, liebe Trauergemeinde, diese Sorge war unberechtigt. Der Herr, unser Hirte, hatte Franz Henlein in seiner Güte von Beginn an aufgenommen . . .«
    Paul lichtete den Sarg ab und schwenkte dann auf den Pfarrer.
    ». . . Es war mir vergönnt, diesen außergewöhnlichen Mann seit Kindheitstagen begleiten zu dürfen. Es begann in den gnadenlosen Nachkriegsjahren – die Jahre unserer schweren Prüfung: Er war ein Heranwachsender, der nach Orientierung und Halt suchte, und ich ein junger Vikar, ebenfalls unfertig und als von Gott zu formendes Individuum, einer hoffnungsvollen Zukunft gegenüberstehend. Wir beide konnten uns in unseren Gedanken, unseren Bestrebungen und unserem Wirken

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