Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
ich tatsächlich das geeignete Vorbild für dich bin.«
»Sei doch nicht so bescheiden!«, lachte Jan-Patrick auf. »Ich werde dich zwar hier sehr vermissen, aber deine Entscheidung, Katinka nach Berlin zu begleiten, ist die einzig richtige.«
»Hallo?«, Paul schob seinen Teller beiseite. Mit einer solchen Diskussion hatte er ganz sicher nicht gerechnet, als er zur Entspannung in den Goldenen Ritter gegangen war. Erstaunlich fand er vor allem, wie aus einem Problem seines Freundes so schnell sein eigenes werden konnte. »Die Sache mit Berlin ist bei weitem noch nicht sicher. Außerdem: Vom wem weißt du das überhaupt?«
»Eigentlich hätte ich es ja von dir erfahren sollen.« Ein leiser Vorwurf schwang in Jan-Patricks Stimme mit. »Aber als mir Hannah neulich von Katis Karrieresprung in die Hauptstadt erzählt hat, war mir klar, dass du nicht lange fackeln und dich ihr anschließen würdest.«
Paul kratzte sich am Hinterkopf. »Hast du vielleicht noch eine offene Flasche Wein? Ich glaube, ich muss da so einiges in dem edlen Bild zurechtrücken, das du von mir hast. . .«
Als sie mit dem Essen fertig waren, hatten beide Freunde ein gerötetes Gesicht. Sie hatten sehr lange und ausführlich über die Zwickmühle gesprochen, in der sich Paul gefangen sah. Über seine innere Zerrissenheit zwischen der Zuneigung zu Katinka auf der einen und seinem Wunsch, in Nürnberg und damit sein eigener Herr zu bleiben, auf der anderen Seite.
Beim Abschied hatten sie jedoch kein Patentrezept für ihre derzeitigen Probleme gefunden. Dennoch war Paul froh, seine Gedanken mit einem guten Freund geteilt zu haben. Er legte seine Hand auf Jan-Patricks Schulter: »Danke für das gute Essen und das gute Gespräch.«
»Und den guten Wein verschweigst du?«
»Nein«, lachte Paul, »natürlich auch für den formidablen Wein!«
Er wollte gerade gehen, als der Koch beiläufig fragte: »Gibt es eigentlich etwas Neues über den Tod dieses Hauser-Forschers?«
»Über Henlein?«, fragte Paul überrascht. »Nein, weshalb? Es war ein Verkehrsunfall. Sehr, sehr tragisch, aber nicht mehr rückgängig zu machen. Warum fragst du?«
»Ein Unfall, soso. Wenn ich mir die Artikel deines Kumpels Blohfeld durchlese, klingt mir das aber ganz und gar nicht nach Unfall.«
»Und warum?«, fragte Paul skeptisch. Er hielt wenig von Jan-Patricks sporadischen Ausflügen in die Kriminalistik.
»Den Berichten nach zu urteilen war Henleins Entdeckung ja wohl reines Dynamit. Da liegt es doch beinah auf der Hand, dass gewisse Kreise ihre Finger im Spiel hatten, um den unbequemen Hauser-Forscher aus dem Weg zu räumen.« Der Koch hob mahnend den Zeigefinger. »Pass nur auf: Wenn du und Blohfeld so weitermacht, seid ihr die nächsten.«
Paul tat Jan-Patricks Bemerkung mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Geh lieber wieder in deine Küche und kümmere dich um Dinge, von denen du etwas verstehst«, sagte er und lächelte seinem Freund zu.
Als er den Goldenen Ritter verließ, war es überraschend kalt und dunkel. Nach Jan-Patricks Anspielungen hatte Paul wieder die Bilder des Unfalltages vor Augen. Das verwüstete Eiscafe, das Autowrack, das losgelöste Rad – und den sterbenden Henlein in seinen Armen.
Was hatte der Koch gesagt? Es hörte sich nicht nach Unfall an . . . Das war – trotz seiner eigenen Überlegungen nach dem Gespräch mit Zetschke – blanker Unsinn. Paul war ja quasi Augenzeuge des Unglücks gewesen: Da war niemand anderes beteiligt gewesen außer Henlein, der beim Reifenwechseln womöglich die Schrauben nicht fest genug angezogen hatte.
Paul versuchte noch einmal, den Unfallhergang ganz rational zu beurteilen, während er die wenigen Schritte bis hinüber in seine Atelierwohnung ging. Obwohl alles so klar erschien, kamen ihm mit einem Mal wieder Zweifel: Jan-Patrick war zwar in Ansbach nicht dabei gewesen und kannte auch nur Bruchstücke der ganzen Geschichte – aber er verfügte doch immerhin über einen gesunden Menschenverstand.
Während er die Wohnungstür aufschloss, überlegte er hin und her: Konnte er etwas tun, um sich selbst zu beruhigen? Sein Atelier lag in vollkommener Dunkelheit vor ihm, nur durch das große Oval des Dachfensters fiel dünnes Mondlicht. Paul verzichtete darauf, den Lichtschalter zu betätigen, und ging nachdenklich durch die Räume.
Er legte sich auf sein Schlafsofa, blickte in den sternenklaren Himmel und verspürte nicht die geringste Lust, heute noch die verbliebenen Fotos vom Tatort im Germanischen
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