Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
des schlauchförmigen Restaurants stand. Die Tischbeine waren unterschiedlich lang und daher mit zusammengefalteten Bierdeckeln ausbalanciert worden.
Als die Vorspeise vor ihm stand und er sich die Terrine auf der Zunge zergehen ließ, rechnete Paul fest damit, dass ihn Jan-Patrick wegen des Mordes ausfragen würde. Doch überraschenderweise wählte er ein völlig anderes Thema:
Mit verlegenem Blick zog der Koch einen gefalteten Zettel aus seiner Hosentasche und beugte sich vor: »Du hast doch viel mit Zeitungen zu tun, kennst dich also aus.« Er schob den Zettel über den Tisch. »Lies das mal und sag, ob man das so schreiben kann.«
Paul entfaltete das Blatt, las die wenigen und reichlich unbeholfen formulierten Zeilen und stutzte. Er sah Jan-Patrick grinsend an: »Ist das wirklich das, was ich denke? Der Entwurf für eine Kontaktanzeige?«
Der Koch sah sich nach den anderen Gästen um und signalisierte Paul, leiser zu sprechen. »Pst! Es wäre nett, wenn du mir ein bisschen bei den Formulierungen helfen könntest. Meinst du, ich sollte bei den Eigenschaften › humorvoll ‹ hinzufügen? Frauen mögen es doch, wenn man sie zum Lachen bringt.«
»Aha, mögen sie das?«, fragte Paul mit unüberhörbarer Ironie. »Männer lachen übrigens auch gern. Und deshalb möchte ich sofort von dir hören, dass diese Anzeige nur ein Scherz ist.«
Der Küchenmeister sah ihn etwas verärgert an. »Nein, Paul, es ist mir Ernst damit.«
Paul legte seine Gabel beiseite und musterte Jan-Patrick. In seiner weißen Schürze und nach einem langen Tag hinterm Herd sah er noch immer frisch und unternehmungslustig aus. Er war nicht groß, nicht besonders kräftig gebaut, aber er hatte Charme. Und durch sein selbstsicheres Auftreten hatte er – soweit Paul wusste – auch nie Probleme damit gehabt, Frauen kennenzulemen. Einige Enttäuschungen waren da allerdings inklusive gewesen.
»Hängst du noch immer Verena nach?«, mutmaßte Paul, der darin die einzige Erklärung für das seltsame Vorgehen seines Freundes sah. Verena, eine Kellnerin, war mehrere Jahre seine Freundin gewesen, bevor er sie sich vom früheren Tourismusamtsleiter der Stadt hatte ausspannen lassen. Das war mittlerweile zwar ein alter Hut, aber bei Jan-Patrick offenbar noch immer nicht vergessen.
»Es geht überhaupt nicht um Verena«, winkte der Koch entschieden ab. »Ich war inzwischen ja nicht ganz untätig – aber all meine Versuche, eine neue Beziehung aufzubauen, scheitern, weil die Frauen einfach andere Erwartungen haben als ich.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und atmete tief durch. »Ich bin ein angesehener Wirt, bei mir verkehrt Nürnbergs feine Gesellschaft, schön und gut, aber was habe ich persönlich davon? Die ein oder andere Einladung zum Golfspielen und ab und zu die Bekanntschaft einer sexuell frustrierten Geschäftsfrau oder Unternehmergattin.«
»Warum so bissig?«
»Weil ich die Nase gestrichen voll habe von meinem aufgezwungenen Single-Dasein. In unserem Alter sollte es einem doch endlich gelungen sein, die Frau fürs Leben gefunden zu haben, meinst du nicht auch?«
»Aber doch nicht auf diesem Weg.« Paul schob Jan-Patrick den Zettel zurück. »Kann es vielleicht sein, dass deine Probleme bei der Partnersuche ganz woanders liegen? Hast du Angst davor?«
»Angst vorm Sex?«, fragte der Koch beinahe entrüstet.
»Nein – vorm Verlieben.«
Jan-Patrick sah ihn ebenso überrascht wie nachdenklich an. Nach einer Pause sagte er ernst: »Wahrscheinlich hast du recht. Wer einmal verletzt wurde, so wie ich, der scheut vor zu großen Gefühlen zurück. Vielleicht schiebe ich ja andere Dinge sogar vor, um mich nicht binden zu müssen.« Er schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Kräftig, aber leise, damit seine Gäste es nicht mitbekamen. »Wahrscheinlich verbaue ich mir mit meiner blöden eigenen Verbohrtheit die Zukunft. – Wir sind doch ein Jahrgang, Paul. Wir waren einige Jahre zusammen auf der Schule und immer gute Freunde.« Ein zuversichtliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ich gönne dir dein Glück wirklich und beneide dich manches Mal darum: Du hast keine Angst vor großen Gefühlen. Du stehst zu deiner Beziehung und willst für euch beide eine glückliche Zukunft aufbauen.« Er stieß Paul kumpelhaft gegen den Arm, der plötzlich verkrampft schluckte. »Mensch, Paul! Ich bin richtig stolz auf dich und deine Kati!«
Paul zuckte zurück und setzte sich steif in seinem Stuhl auf. »Ich weiß nicht, ob
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