Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
Vom Netzwerk:
Gefühl wie nach einem Sechser im Lotto. So stellte er sich es jedenfalls vor. Das war seine Chance. Er gliederte sich in den Strom der plappernden Jugendlichen ein, als der Wächter die Doppeltür zur Waffenkammer öffnete und die Alarmanlage deaktivierte.
    »Der Stolz unserer Waffensammlung ist. . .«, hob der Führer an, und Paul fackelte nicht lang. Er nutzte die Unruhe, die aufkam, als die Heranwachsenden den ersten Blick auf die vor Waffen starrenden Ritter werfen konnten, und schlüpfte an der Gruppe vorbei in das Innere des Saals. Schnell orientierte er sich. Hinter einer steinernen Bank fand er Unterschlupf.
    Während sich die Schulklasse langsam in einen anderen Teil des Saals entfernte, sah Paul seinen Moment gekommen. Er tauchte unter einem wahrscheinlich von der Kripo gespannten Flatterband hindurch und lief auf die Stelle zu, wo der tote Museumsmitarbeiter gelegen hatte. Die Schulklasse hinter ihm hätte ihn zwar hören können, die Sicht auf ihn aber war wegen einer dazwischen liegenden Wand nicht möglich. Paul befand sich in relativer Sicherheit.
    Natürlich war die Tatwaffe nicht mehr dort, wo Paul sie neben der Leiche liegen gesehen hatte. Und auch die hohe Vitrine, die noch immer offen stand, war leer. Bestimmt hatte man das Schwert sichergestellt und als Asservat an einen anderen Ort gebracht. Eigentlich hätte sich Paul das denken können. Er ärgerte sich über seine Naivität.
    Er beschloss, seine Anwesenheit trotzdem so gut wie möglich zu nutzen: Er sah sich noch einmal sehr langsam und intensiv um, malte sich aus, wie Dr. Sloboda vor seinem Tod in dem hallenartigen Raum gestanden haben könnte. Der Heraldiker musste seinen Begleiter gekannt haben und ihn aus freien Stücken mit in den Waffensaal genommen haben, dachte Paul. Andernfalls hätte er auf dem langen Weg durch die Gänge und Flure zu dem Waffensaal doch auf irgendeine Weise versucht zu flüchten oder Hilfe zu holen. Und selbst wenn es Sloboda dabei nicht gelungen wäre, seinen späteren Mörder abzuschütteln, wäre es spätestens in diesem Saal zu einem Kampf gekommen: Sloboda hätte sicherlich versucht, sich zu verteidigen. Aber auch das hatte er offenbar bis zuletzt unterlassen.
    Paul sah sich die gläsernen Schaukästen, die Ritterrüstungen und Standarten an: Keine einzige Scheibe war zu Bruch gegangen, kein Ritter umgestürzt. Nein, überlegte Paul, Sloboda war seinem Mörder gegenüber völlig arglos gewesen. Er wurde von ihm in dem Moment überrascht, als dieser das Schwert in seine Hände bekommen hatte.
    Er näherte sich der Vitrine, aus der die Tatwaffe entnommen worden war. Der Schlüssel steckte zwar ebenfalls nicht mehr im Schloss, aber Paul war sich sicher, dass es Sloboda gewesen war, der sie aufgeschlossen hatte.
    Er starrte nachdenklich auf die leere Vitrine. Dr. Sloboda hatte seinem Bekannten offenbar mehr als nur vertraut. Ein Profi wie er hätte ansonsten in Anwesenheit eines Außenstehenden niemals einen Schaukasten mit einer unschätzbar wertvollen, historischen Kostbarkeit wie dem Schwert geöffnet und die antike Waffe aus der Hand gegeben.
    Paul ging zurück zu der Stelle, wo weiße Klebestreifen am Boden die ehemalige Lage der Leiche kennzeichneten. Von der Vitrine bis zu dieser Stelle waren es ungefähr vier Meter. Paul stellte sich vor, wie Sloboda das Schwert aus dem Schaukasten genommen und es zunächst selbst in seinen Händen gehalten hatte. Dann waren er und sein Mörder – wahrscheinlich in eine Diskussion vertieft – einige Schritte gegangen. Auf halber Strecke könnte Sloboda die Waffe dann an den anderen übergeben haben. Anschließend musste alles sehr schnell gegangen sein: Der Mörder holte – womöglich einen Scherz vortäuschend – aus und schlug die Klinge mit voller Wucht auf die Schulter des ahnungslosen Sloboda. Dieser taumelte benommen zurück, und ehe er begreifen konnte, was vor sich ging, traf ihn auch schon der nächste Hieb.
    Paul trat zwei Schritte zurück. Er konnte sich die Situation bildlich vorstellen: Nach dem zweiten Schlag hob Sloboda endlich die Hände, um sich zu wehren, doch da war es bereits zu spät. Ein dritter Hieb traf ihn, diesmal wahrscheinlich am Kopf. Der Verletzte ging in die Knie, vielleicht wimmerte er und bat um Gnade. Zum Schreien hatte er nach der Attacke wahrscheinlich schon keine Kraft mehr.
    Paul, der sich immer stärker in Slobodas Lage hineinversetzte, ließ sich ebenfalls auf die Knie sinken. Der vierte, fünfte und sechste Treffer verletzte

Weitere Kostenlose Bücher