Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
einfuhr:
»Wie berichtet, liegen unserer Zeitung neue Erkenntnisse über eines der wohl rätselhaftesten Verbrechen der deutschen Kriminalgeschichte vor. Eine Auswertung kürzlich gefundener DNA-Spuren wird in wenigen Tagen erwartet. Doch wichtige Hinweise auf seine Mörder lieferte das Opfer bereits selbst: Kaspar Hauser sagte noch auf seinem Totenbett aus!«
Paul blickte grinsend auf. Was hatte Blohfeld denn jetzt wieder für Kamellen ausgegraben? Dieser Artikel sprach nach Pauls Sicht der Dinge nicht gerade dafür, dass Blohfeld tatsächlich bald die Ergebnisse der Genanalyse bekommen würde. Er beugte sich wieder über die Zeitung:
»Die Passage aus der hinlänglich bekannten Hauser-Story ist vielen Lesern sicherlich neu: Nachdem Hauser am 14. Dezember 1833 unter einem Vorwand in den Ansbacher Hofgarten gelockt und mit einer tödlichen Stichwunde verletzt worden war, konnte er noch wichtige Hinweise auf den beziehungsweise die Täter machen. Zwei Stunden nach dem Attentat begann bereits die erste ausführliche Vernehmung. Zwei weitere folgten, noch bevor Hauser am 17. Dezember gegen 22 Uhr seinen schweren Verletzungen erlag.
Auffallend und auch typisch für den Fall ist, dass es keinerlei Abschriften der Vernehmungen gibt. Lediglich von einem › unbekannten Mann ‹ soll Hauser gesprochen haben, weitere Details seiner Aussagen fehlen. Auch ein angeblicher Bekennerbrief, der kurz nach der Tat – in Spiegelschrift verfasst – auftauchte, half und hilft nicht weiter, denn er verschleiert mehr, als er Licht in das Dunkel bringt.
Alle Hoffnungen darauf, die Akte Hauser schließen zu können, ruhen nun also auf den Errungenschaften der modernen Wissenschaft. . .«
Blablabla, dachte Paul und brach die Lektüre ab. Blohfeld stocherte weiterhin im Nebel, folgerte Paul. Und angesichts der Neuigkeiten, die er für Katinka parat hatte, erschien ihm der Fall Hauser inzwischen auch eher als nebensächlicher Kriegs Schauplatz.
Die U-Bahn fuhr in den Bahnhof Bärenschanze ein, und Paul ließ die Zeitung für einen anderen Fahrgast auf der Bank liegen, als er aufstand.
»Na?«, fragte Paul und kratzte dabei all seinen Charme zusammen, den er in dieser Situation aufbringen konnte. »Hattest du ein schönes Wochenende in der Hauptstadt?«
Er saß vor Katinkas Schreibtisch in einer schmalen Bürozelle des historischen Nürnberger Justizpalastes und konnte sich ausmalen, dass seine Freundin an diesem Montagmorgen nicht gerade gut aufgelegt war.
»Sagen wir eher: ein kurzes«, antwortete sie sauertöpfisch.
Natürlich war sie nach seinen Andeutungen am Telefon doch noch in den nächsten Flieger zurück nach Nürnberg gestiegen – was ihr Paul hoch anrechnete.
»Aber Paul – deine Anschuldigungen sind absurd!«, schalt sie ihn.
Paul streichelte sie mit Blicken. Nicht nur, weil ihn das schlechte Gewissen plagte, sondern auch, weil ihm Katinka gerade dann immer besonders gefiel, wenn sie wütend war. Das kitzelte ihr Temperament heraus und machte ihre blauen Augen noch strahlender. »Immerhin hat mich deine eigene Tochter überhaupt erst auf die Idee gebracht, als sie mir riet, man sollte die Todesfälle und die Hauser-Geschichte getrennt voneinander betrachten«, rechtfertigte er sich.
»Jetzt willst du die Schuld auch noch auf andere abschieben. Lass Hannah aus dem Spiel«, schimpfte Katinka.
»Nein, nein, bestimmt nicht. Ich zähle einfach nur eins und eins zusammen!« Paul rutschte mit seinem Stuhl näher an Katinkas Schreibtisch heran. »Ich bin fest davon überzeugt, dass Schrader der Killer ist. Oder zumindest der Auftraggeber.« Er sah sie fest an. »Alle Indizien sprechen dafür! Lass mich dir bitte erzählen, wie es sich abgespielt haben könnte.«
Katinka nickte unwillig, worauf Paul fortfuhr:
»Schrader baut auf einem ehemaligen Grundstück der von Buchenbühls eine sündhaft teure Einkaufspassage und nimmt dafür eine Menge Geld in die Hand. Mitten in der kritischen Rohbauphase findet Henlein mit Hilfe von Dr. Sloboda heraus, dass er selbst ein von Buchenbühl-Nachkomme und damit erbberechtigt ist. Schrader sieht daraufhin sein Franziskanerhof-Projekt gefährdet und schreitet zur Tat.«
»Mein lieber Paul: Wenn du – wie du so schön gesagt hast – eins und eins zusammenzählst, kommt bei dir aber drei heraus. So etwas hat Schrader nämlich nicht nötig«, sagte Katinka mit tadelndem Blick. »Und hör gefälligst auf, mich so verliebt anzusehen. Hier geht es ums Geschäft, da verstehe ich keinen
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