Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Rückforderungen nach dem Mauerfall. Das sind alles juristische Grauzonen, in denen man sich nur allzu leicht verirren kann.« Sie schüttelte den Kopf und sagte versöhnlich: »Von Henlein allein hätte niemand etwas befürchten zu brauchen. Da hätte dieser kleine, treuherzige VAG-Beamte erst mal ein Heer teurer Anwälte engagieren müssen – und selbst dann wären seine Chancen angesichts der inzwischen verstrichenen Zeit gleich null gewesen.«
»Du kapitulierst also?«, fragte Paul provozierend und enttäuscht zugleich.
»Nein, du hast mich einfach nicht überzeugt. Weißt du, ich bin nicht bereit, meinen Ruf und meine Zukunft aufgrund vager Vermutungen aufs Spiel zu setzen. Das ist alles.«
Es klopfte an der Tür. Auf Katinkas energisches »Herein!« betrat ein schmalbrüstiger Bürobote das Zimmer. Er legte Katinka einen beigefarbenen Umschlag auf den Tisch und zog sich sofort wieder zurück.
»Hauspost«, kommentierte sie, als sie den Umschlag Öffnete. Während sie den Inhalt studierte, wurde sie zusehends blasser.
»Was ist denn?«, fragte Paul besorgt.
»Ich hatte mich nach Schraders Einkommensverhältnissen erkundigt«, sagte Katinka sichtlich mitgenommen. »Ganz dezent natürlich. Ich wollte es einfach wissen, obwohl ich nicht wirklich mit einer Überraschung gerechnet hatte.«
»Und?«
»Er erstickt. . .«
»Erstickt?«
»Ja.« Sie sah Paul mit weit geöffneten Augen an. »Schrader erstickt in Schulden. Das Franziskanerhof-Projekt ist seine letzte Chance, um das Ruder noch einmal herumzureißen und seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.«
»So schlecht war mein Riecher also doch nicht.« Paul verspürte eine gewisse Genugtuung, die sich sogleich mit einer indifferenten Angst vermischte. Denn wie Katinka schon gesagt hatte: Schrader war ein mächtiger Mann. Wehe dem, der sich mit ihm anlegte.
31
Während Paul den Qualm von Blohfelds Zigarre einatmen musste, erlebte er den Reporter ausnahmsweise einmal nicht ungestüm, dickköpfig und herrisch. Im Gegenteil, Blohfeld wirkte sehr nachdenklich und ernst, nachdem er Pauls Schilderungen der jüngsten Erlebnisse gehört hatte.
Der Reporter saß lässig zurückgelehnt in seinem Bürostuhl und hatte die Beine über Kreuz auf der Schreibtischplatte abgelegt. Wortlos rauchte er seine Zigarre zu Ende und strapazierte damit Pauls Geduld aufs Äußerste.
Schließlich räusperte sich der Reporter. Er nahm die Füße vom Tisch, beugte sich weit vor und begann leise zu sprechen:
»Es freut mich natürlich, dass sich mein Artikel über das Mordkomplott gegen Henlein zu bestätigen scheint. Aber ganz ehrlich: Mir gefällt dieser Zusammenhang mit Bernhard Schrader überhaupt nicht.« Er rieb sich die Augen und sah Paul alles andere als zufrieden an. »Eigentlich müsste ich als Boulevardreporter ja froh über eine solche Entwicklung sein und mit der nächsten Schlagzeile über Schrader herfallen. Aber wenn wir falsch liegen, haben wir ganz großen Ärger am Hals.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Wir dürfen es keinesfalls überstürzen. Lassen Sie uns die Sache lieber noch einmal von vorn und in aller Ruhe rekapitulieren.«
Paul ahnte, dass es wenig Zweck hatte, mit Blohfeld über Sinn und Unsinn zu debattieren, die ganze vertrackte Angelegenheit zum wiederholten Male durchzukauen. Also hielt Paul den Mund und hörte zu.
»Wir haben zwei Tote und das von Buchenbühl-Wappen als verbindendes Element. Die Vermutung, dass Henlein ein Patriziererbe gewesen ist und mit Slobodas Hilfe seinen Anspruch darauf untermauern wollte, ist ein starkes Motiv für mögliche Gegner dieses Plans. Und wir haben mit Bernhard Schrader, dem hoch verschuldeten Baulöwen, eben diesen besagten Gegner ausfindig gemacht. Kurzum: Es gibt einen Doppelmord, ein lupenreines Motiv und einen dazu passenden Täter.« Er sog an der Zigarre und blies gleich darauf den Rauch aus. »Das alles hört sich wunderbar logisch an. Nur ist es meines Erachtens ein wenig zu logisch. – Außerdem müssten wir für den nächsten Schritt mehr als nur Vermutungen und Indizien haben: Um Schrader zu Fall zu bringen, brauchen wir handfeste Beweise!« Ein Grinsen schlich sich ins Gesicht des Reporters. »Und das wäre der Part Ihrer Noch-Freundin.«
»Wieso Noch-Freundin?«, fragte Paul mit zusammengezogenen Brauen.
»Nach all dem, was man so hört, soll es in Berlin auch fesche Männer geben. Und junge!« Bevor Paul protestieren konnte, redete Blohfeld weiter: »Jedenfalls werde ich keine Zeile über
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