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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Lindquist
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ich schon vergessen. Ich schaute in die Tüte; es war wie eine Zeitreise neun, zehn Jahre zurück.
    Es waren nur die Lieblingsautos, die ich aufgehoben hatte. Die anderen hatte ich meinen jüngeren Cousins geschenkt. Ich drehte die Tüte um und schüttete die Autos aufs Bett: ein roter kleiner Doppeldecker, ein blauer Hillman mit Heckscheibe zum Öffnen, ein rostiger Chevrolet, der einmal rosa gewesen war, ein dunkelroter Pferdetransporter, der Paul gehört hatte. EXPRESS, HORSE BOX, HIRE SERVICE. Blassgelbe Buchstaben. Und dann das schönste Auto, ein blauer Austin mit Steuer am Dach. Ein rotes Plastiksteuer. Wenn man am Steuerrad drehte, schwenkten die Vorderräder um. Im Auto saßen zwei Plastikfiguren, ein Fahrlehrer und sein Schüler. Den Austin hatte ich von Papa zu meinem dritten Geburtstag bekommen. Auch wenn ich mich nicht mehr dar an erinnere. Aber ich erinnere mich, dass das mein allerschönstes Auto war, mein allerschönstes Spielzeug.
    Ich betrachtete die Autos eine ganze Weile. Ich roch an ihnen, berührte sie. Und ich fuhr mit dem blauen Austin ein wenig auf meinem Nachttischchen herum; die Steuerung funktionierte nach wie vor perfekt, auch wenn die schwarzen Gummireifen etwas abgestumpft wirkten. Vielleicht waren sie vertrocknet. Genau wie der Gummibelag auf der Tischtenniskelle von Paul.
     
    Mama weckte mich, als sie nach Hause kam.
    »Wie geht es dir ?« , fragte sie und fühlte meine Stirn.
    »Mir geht es schon besser«, sagte ich. »Ich glaube, ich habe kein Fieber mehr .«
    »Ja, du fühlst dich nicht mehr so warm an. Hast du lange geschlafen ?«
    »Ein paar Stunden.«
    Sie schaute auf mein Nachttischchen, wo immer noch der Austin und der Pferdetransporter standen.
    »Hast du auch mit den Autos gespielt ?« , fragte sie mit kindlicher Stimme.
    Ich lächelte. »Ich habe sie im Bücherregal gefunden, als ich nach einem Buch suchte .«
    Mama lachte.
    »Du brauchst dich nicht rechtfertigen«, sagte sie lächelnd. »Ich verstehe auch so .« Sie betrachtete die Autos wieder.
    »Wie komisch ,« sagte sie nach einer Weile.
    »Was?«
     
    Sie hob das rote Transportfahrzeug hoch. »Dieses hier hat Paul zu seinem dritten Geburtstag bekommen. Stefan hatte es ihm gekauft. Damals waren noch drei Pferde darin. Aus Plastik. Aber die verschwanden bald .«
    Sie stellte es zurück auf das Nachttischchen.
    »Und dieses hier hast du zu deinem dritten Geburtstag bekommen. Ebenfalls von Stefan.«
    Ich sah ihre Augen, während sie sprach; ich sah diesen dunklen Schatten, der dann erscheint, wenn man traurig ist. Dennoch fand ich, dass ihre Augen funkelten. Als ob sie trotz allem glücklich war.
    »Und jetzt stehen sie hier nebeneinander auf deinem Nachttischchen«, fuhr sie fort. »Die Dritter-Geburtstagsgeschenke der zwei Brüder. Erinnerst du dich, als dein Auto verschwunden war? Dieses blaue, meine ich ?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du warst völlig verstört. Wir dachten schon, du würdest nie aufhören zu weinen. Und als wir es endlich fanden, wolltest du es nicht wieder loslassen. Du hattest es immer und überall dabei. Sogar als du geschlafen hast.« Sie lachte. »Erinnerst du dich ?«
    »Nein. Ich weiß nur noch, dass es mein schönstes Auto war. Mein Lieblingsauto.«
    »Und jetzt hat du wieder angefangen, mit ihnen zu spielen«, scherzte sie und verschwand lächelnd in Richtung Küche.
     
    Am darauf folgenden Abend waren meine Eltern zu einer Feier eingeladen.
    »Wir werden wohl sehr spät nach Hause kommen«, sagte Mama. »Du musst dich selbst versorgen .«
    Wir saßen in der Küche und aßen zu Abend. Es war der erste Tag seit über einer Woche, den ich nicht im Bett verbracht hatte.
    »Ach, übrigens«, sagte ich. »Könntest du nicht Daniel bitten herzukommen? Wenn er Lust hat .« Sowohl Mama als auch Papa starrten mich an.
    »Ach«, sagte Mama, »nicht nur, dass du wieder angefangen hast mit Autos zu spielen. Jetzt willst du auch noch einen Babysitter. Wirst du wirklich sechzehn ?«
    »Ich spiele Zeitmaschine«, sagte ich.
    »Es gibt doch einen Film im Fernsehen«, sagte Papa. »Einen Western. Den kannst du dir doch ansehen. Dann langweilst du dich nicht .«
    »Na, ich fürchte nicht, dass ich mich langweile. Ich möchte einfach nur Daniel treffen. Und weil ihr doch sowieso weg seid ... «
    »Na klar«, sagte Mama. »Er wird sich freuen. Ruf ihn an und frage ihn .«
    »Ja, das werde ich«, sagte ich und konnte sehen, wie sich Papas Gesicht verdüsterte.

NEUN
    Ich setzte mich neben Daniel.
    »Ich bin

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