Paul, mein grosser Bruder
dem Nationalmuseum, neben der Statue. Aber er starb nicht sofort. Die Leute versuchten, das Feuer zu löschen. Und dann wurde er ins Krankenhaus gebracht. Er starb erst einige Tage später an den Folgen seiner Verletzungen .«
»Mein Gott! Das ist doch Wahnsinn. Er sieht ja nicht älter aus als wir. Oder ist das ein altes Bild ?«
»Nein, ist es nicht«, antwortete Petr. »Er war noch nicht so alt. Zwanzig, glaube ich. Nur einige Jahre älter als ich. Mama hat das Bild gerahmt. Sie hat es aus einer Zeitung ausgeschnitten. Er wurde fast zu einem Nationalheiligen in der Tschechoslowakei. Die Leute pilgern zum Wenzelsplatz und zu Jan Palachs Grab, um seiner zu gedenken und um gegen das Regime zu demonstrieren .« Er schwieg einen Moment. »Wir bekamen einige Wochen nach seinem Tod einen Brief von Großmutter. Sie und Großvater waren ganz in der Nähe, als es passierte. Sie kamen bei der Statue zeitgleich mit dem Krankenwagen an. Es roch nach Benzin und verbranntem Fleisch. Es war scheußlich .«
»Kannte deine Großmutter ihn ?«
Petr schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Sie hat ihn vielleicht wiedererkannt, aber das weiß ich nicht. Er kam nicht aus Prag, sondern aus einem kleinen Dorf. Aber mein Cousin Sasa war in derselben Studentenvereinigung wie Palach, daher kannte er ihn. Er war bei dem Hungerstreik nach Palachs Tod am Nationalmuseum dabei, aber dann wurde er von meinem Onkel gezwungen aufzuhören. Sie hatten solche Angst, dass auch Sasa sterben würde .«
»Aber hat sich was verändert? Nachdem er sich verbrannt hatte ?«
»Nein, ich glaube nicht. Doch, vielleicht. Seine Tat brachte die Menschen dazu sich ... sich zu versammeln, den Ernst der Lage zu erkennen«, fing Petr an. »Aber die, denen der Protest eigentlich gegolten hatte, der Besatzungsmacht nämlich, schienen sich nicht im Geringsten darum zu scheren. Sie waren darüber hinaus so unverschämt zu behaupten, Jan Palach sei -ein Opfer des schlechten tschechischen Schulsystems-geworden, das ihm offensichtlich nicht die >Wahrheit< über den Marxismus-Leninismus beigebracht hatte. Allerdings sagt Papa, dass das tschechische Volk nur allzu gut gelernt habe, was diese Wahrheit beinhaltet .«
Paul murmelte etwas Unverständliches.
»Was hast du gesagt ?«
»Ich sagte, dass es in jedem Fall schrecklich ist, wenn jemand glaubt, die einzige Möglichkeit etwas zu verändern sei die, sich selbst zu verbrennen. Das ist ja genau wie mit den Mönchen in Saigon vor einigen Jahren. Erinnerst du dich? Sie haben sich doch auch verbrannt. Und die Leute standen sogar drum herum und filmten sie. Das ist doch nicht normal! Sie wussten also schon vorher, jemand würde sich verbrennen, und anstatt das zu verhindern oder zumindest beim Löschen zu helfen, packen sie ihre Kameras aus und filmen !«
»Ja, ich weiß. Aber niemand hat Jan Palach gefilmt. Niemand hatte es gewusst. Nur die anderen Studenten. Die sich auch verbrennen wollten .«
»Was?«
»Ja. Es waren noch mehr, die sich verbrennen wollten. Nach Palach. Aber daraus wurde nichts. Ich weiß nicht warum. Sie haben sich vielleicht nicht getraut. Oder sie waren der Meinung, dass die Aufmerksamkeit, die Palachs Tod brachte, ausreichte. Ich weiß es nicht. Es waren zwölf oder vierzehn weitere, die sich verbrennen wollten. Einer nach dem anderen. Sie losten, wer beginnen sollte. Und es traf Palach. Bah, ich will jetzt nicht mehr über so was reden. Es zieht einen nur runter. Komm, ich zeige dir stattdessen mein Zimmer .«
Paul setzte sich neben Petr aufs Bett. Er sah sich in dem fremden Zimmer um. Sein Blick ging immer wieder zurück zu den merkwürdigen Bildern an der Wand über dem Bett. Es waren drei große gerahmte Tafeln mit aufgesteckten Schmetterlingen. Hunderte von Schmetterlingen.
»Gefallen sie dir ?« , fragte Petr.
Paul zögerte, bevor er antwortete. »Ich weiß nicht .«
»Weiß nicht ?«
»Nein. Schmetterlinge sind schon schön. Sie sind hübsch. Aber das ist wohl schon ein bisschen grausam .«
»Ja. Ich weiß. Ich kann mich selbst nicht richtig entscheiden, ob sie mir gefallen oder nicht«, sagte Petr. »Ich habe sie von meinem Onkel Luba bekommen. Er hat sein Leben lang Schmetterlinge gesammelt. Und als wir von Prag wegzogen, schenkte er mir die Bilder zum Abschied .« Er kniete sich hin und zeigte auf einen der Schmetterlinge. »Dieser ist der Schönste, finde ich. Er kommt aus Südamerika. Sie nennen ihn Silberblitz. Allerdings steht hier Argyrophorus argenteus. Er sieht fast
Weitere Kostenlose Bücher