Paul sucht eine Frau
Hund.«
Um ihr nicht in die Augen blicken zu müssen, sieht Paul zur Seite. Die zahlreichen großformatigen Schwarzweiß-Fotos an der Wand gefallen ihm. Auf einem sind mehrere Rollstuhlfahrer mit langen Haaren und langen Bärten zu sehen, die ein Transparent mit der Aufschrift Wir wollen Zivis halten. Rollstuhl-Hippies! Daneben ist ein Bild von einem zugewucherten Gartenhäuschen. Unser erstes Büro '81 , steht darunter.
»Für uns ist es wichtig, dass unsere Kunden selbst entscheiden können, von wem sie sich assistieren lassen und von wem nicht«, sagt Frau Müller. »Deshalb stellen wir keine Assistenten für Sie ein. Wir vermitteln nur mögliche Bewerber, die sich dann bei Ihnen in einer Art Vorstellungsgespräch präsentieren.«
»Klingt gut«, sagt Paul.
Frau Müller blättert in der Akte, die vor ihr auf dem Tisch liegt. Plötzlich bleibt ihr Blick auf etwas in den Unterlagen über Paul hängen.
»Im Fragebogen haben Sie angekreuzt, dass Sie sich nur geschlechtsspezifisch betreuen lassen wollen.«
»Äh, ja.«
»Das ist schade. Sehr schade.«
»Ach ja?«
Das wird ganz einfach funktionieren, hat Nico ihm gesagt. Mach einfach dein Kreuzchen dort, hat Nico gesagt, dann können die vom ambulanten Dienst nichts sagen. Dann kriegst du deine Assistentin. »Mit J-Lo-Arsch.«
Und wenn es nicht klappt?, hat Paul gefragt. Wenn sie ihm eine Mutter Beimer vorbeischicken?
»Wissen Sie, Herr Altenburg«, sagt Frau Müller. »Momentan haben wir mehr Frauen, die in die Assistenz einsteigen. Da werden Sie nur wenig Auswahl an Betreuungspersonal haben. Aber wenn Sie wirklich nur männliches Personal wollen ...«
»Äh, ja. Ach so ... also«, sagt Paul.
»Mit geschlechtsspezifisch meinte er eigentlich, dass er sich nur von Frauen betreuen lassen will. Nicht von Männern.«
»Nur von Frauen?«
Paul nickt zögernd.
»Das ist eher ungewöhnlich. Einige unserer Kundinnen möchten nicht von Männern betreut werden. Darauf zielt die Frage in dem Fragebogen ab. Dass jemand nur vom anderen Geschlecht betreut werden will – das hatten wir noch nie.«
»Tja«, sagt Paul.
»Wissen Sie«, sagt Nico. »Paul hat Angst vor Männern.«
»Angst vor Männern?«, sagt Paul.
Frau Müller hebt eine Augenbraue.
»Ja, du weißt doch ...«, sagt Nico. »Wegen ...«
»Weswegen?«, fragt Frau Müller. »Sie haben meine volle Aufmerksamkeit.«
Jetzt geht alles zu Bruch, denkt Paul. Das wacklige Kartenhaus seiner Bedürftigkeit wird in sich zusammenstürzen.
»Na, das ist doch ganz einfach«, sagt Nico. »Das ist wegen dem Dings ...«
»Dem Dings?« Frau Müller beugt sich auf ihren Schreibtisch vor und stützt ihren Kopf auf ihren Armen ab.
»Na, wegen deiner Angst vor Stehpinklern«, sagt Nico zu Paul.
»Ähm.« Paul räuspert sich.
»Doch, doch so ist es. Bei mir ist es okay, wenn ich ihn besuche. Ich bringe meinen Katheterbeutel ja mit. Aber die Fußgänger ...«
»Ja ... klar stimmt«, stammelt Paul. »Ich kann es überhaupt nicht haben, wenn ... äh ...«
»Er redet nicht gern darüber«, sagt Nico. »Es hat auch mit seinem Penisneid zu tun.«
Frau Müller blickt die beiden an, ohne einen Ton zu sagen. Paul und Nico starren zurück. Frau Müller greift zu einem Kugelschreiber und notiert etwas auf dem Formular. Als sie wieder zu den beiden aufsieht, lächelt sie.
»Ich sehe schon«, sagt sie. »Sie sind wahrscheinlich genauso ein verrücktes Huhn wie ihr Freund.«
»Tja.«
»Die Bewerber – äh, Bewerberinnen – werden sich im Lauf der nächsten Woche persönlich bei Ihnen melden, um einen Termin auszumachen.«
Zu guter Letzt beugt sich Frau Müller ein Stück vor und lächelt Paul mit verschwörerischer Miene zu.
»Viel Glück.«
* * *
Lara sitzt am Frühstückstisch, eine große Tasse Tee mit beiden Händen umklammert und starrt gerade aus. Auf das schiefe Regal. Solange sie das macht, schafft sie es, nicht darüber nachdenken zu müssen, wie es weitergeht. Mit ihrem Leben, ihrem Film, ihren Wünschen.
Klar, könnte sie sich jetzt auch die Frage stellen, was sie sich eigentlich dabei gedacht hat, Soziologie zu studieren. Eine schöne Geisteswissenschaft, keine Frage. Aber was kommt nach dem Studium? Würde sie wirklich im Fach der Soziologie arbeiten wollen, bliebe ihr nur eine Karriere in der Forschung als Mitarbeiterin an der Uni. Doch erstens ist sie keine Wissenschaftlerin. Zweitens hätte sie promovieren müssen, um ihre Chancen auf eine Arbeitsstelle zu erhöhen. Dann hätte ihr Studium nie
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