Paula geht
können, der sie tröstete und sie in den Arm nahm. Aber es herrschte immer noch Funkstille. Immerhin hatte Annemarie nach der Prüfung auf sie gewartet und sie waren noch ein wenig durch Neubrandenburg geschlendert. Das hatte so gutgetan.
Sven hatte vermutlich über Bene anfragen lassen, wie‘s gelaufen war. Aber Paula wollte Bene nicht belasten und hatte auf seine Frage „Und Paula, kriegst du eine 1 oder nur eine 3 in deiner Prüfung?“ nur vorsichtig geantwortet, dass sie kein so gutes Gefühl hatte. Bene hatte verständnisvoll genickt und gesagt, dass ihm das nach Mathearbeiten auch immer so ging, und dann wären sie auch gar nicht gut, er würde sich da selten täuschen.
Pfff, und jetzt? Paula sah aus dem Fenster, wie um sich zu vergewissern, dass draußen kein großes Loch entstanden war, das sie und ihr Haus verschlingen würde. Nein, es schien alles in Ordnung zu sein in der Außenwelt. Einzig der Novembernebel verschleierte weite Teile ihres sonstigen Fernblicks.
Plötzlich hatte sie das unbändige Bedürfnis zu laufen. Einfach nur zu laufen, egal wohin. Sich den Frust wegzulaufen. Was sollte sie schon hier drinnen anfangen? Lernen würde sie heute ganz bestimmt nicht und ihre Praxiseröffnungsvorbereitung konnte sie sich jetzt auch an den Hut stecken. Sogar das fertige Schild lag schon da. Sie mochte es gar nicht anschauen.
Tja, Paula, warste wieder mal zu voreilig ... Aber jetzt nichts wie raus. Sie packte sich warm ein. Jetzt müsste man einen Hund haben, dachte sie. Da hätte sie wenigstens ein lebendiges Wesen um sich gehabt, das sie begleiten würde. Ralf könnte ihr Nathan ausleihen, aber nein, das war jetzt zu kompliziert.
Sie stapfte auf den Weg hinter ihrem Haus Richtung See. Der Nebel legte sich feucht auf ihre Bronchien. Kein gutes Asthma-Wetter. Aber Asthmatikerin war sie ja zum Glück nicht, nur durchgefallene Heilpraktikeranwärterin . Ja, es war traurig, dass es nicht geklappt hatte. Sicher, sie konnte es im März erneut versuchen, aber irgendwie hätte sie eine positive Nachricht wirklich brauchen können. Damit wenigstens eine Sache in ihrem Leben wieder rund lief.
Paula, jetzt sei nicht undankbar. Vor wenigen Wochen hattest du eine echte Glückssträhne. Du hast Freunde, und zwar mehr als du jemals in deinem Leben gehabt hast. Du hast ein richtig nettes Häuschen und letzte Woche sogar Öl geliefert bekommen, das hoffentlich über den Winter reichen wird. Du hast einen Job und magst deine Patientin, Frau Reichenstein. Allerdings wusste sie nicht, wie lange sie den Job noch haben würde. Frau Reichenstein lag jetzt nur noch im Bett und war oft nicht mehr ansprechbar. Die Morphine waren zu stark, so dass sie den Dämmerzustand kaum mehr verließ. Und wenn sie wach war, glitt ihr Blick unstet im Zimmer herum, so dass Paula nur noch selten persönlichen Zugang zu ihr fand. Also beschränkte sich ihr Job immer mehr auf das Pflegerische. Sie massierte Frau Reichensteins magere, kalte Gliedmaßen, lagerte sie, damit sie keine Druckstellen bekam und erzählte ihr von der Welt draußen.
Die liebe alte Dame war ihr in den letzten zwei Monaten richtig ans Herz gewachsen, und es ging ihr nah, ihren Leidensweg zu begleiten. Nein, im Hospiz hätte sie nicht arbeiten können. Sie wusste nicht, wie die Angestellten, die über Jahre mit so viel Trauer und Leid konfrontiert waren, das verarbeiteten. Gleich musste sie noch mehr weinen.
Genau Paula, vielleicht findest du noch etwas, das dich runterzieht? Dann lohnt es sich wenigstens, dass du mal so richtig heulst.
Klar gab es da noch etwas. Sven war immer noch nicht zurück. Sie platzte vor Ungeduld zu wissen, wie es weitergegangen war, aber er blieb stumm. Obwohl, ganz stimmte das auch nicht. Es gab immer wieder so kleine Zeichen, dass er sie nicht vergessen hatte. Sie bekam ein flaches Päckchen mit einer wunderschön polierten Holzscheibe, die Briefmarke war französisch, der Poststempel unlesbar. Allerdings war keine Nachricht dabei, worüber sie schon wieder sehr traurig war. Einmal wurde ihr auch ein Sträußchen Vergissmeinnicht per Fleurop angeliefert. Natürlich ohne Karte.
Sie kam an eine Kreuzung. Der Weg unter ihren Füßen war kaum mehr zu sehen. Sie entschied sich für den rechten, der immerhin noch ein kleiner Trampelpfad und nicht nur ein Schafsweg zu sein schien. Immer wieder sank sie mit den Füßen ein, so moorig war es hier draußen. Verflixt, jetzt war ihr Stiefel bis zum Schaft eingesunken und sie konnte ihn nur mühsam
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