Paula Kussmaul laesst nicht locker
haben doch unseren Beruf und Enno ist kein Kindergartenknirps mehr.«
»Ich wollte ihn ja mal besuchen«, sagte Paula da ganz leise. »Er hat mich gar nicht erst reingelassen.« Und sie sah wieder vor sich, wie Enno mit seinem Manolito auf der Schulter vor ihr gestanden und ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. »Er hat ja auch seinen Manolito. Vielleicht braucht er gar keine anderen Freunde.«
»Nein«, widersprach Ennos Vater. »Jeder Mensch braucht andere Menschen. Aber vielleicht hast du Recht, vielleicht redet er sich ein, dass ein Tier genügt.«
Die Kassiererin schaute sie auffordernd an. Paula hatte gar nicht gemerkt, dass sie an der Reihe war. Rasch legte sie ihre Ware aufs Band, bezahlte, packte alles ein und wartete, bis auch Ennos Vater so weit war. Sie konnte ihn doch jetzt nicht einfach stehen lassen, wo er sich gerade so ernsthaft mit ihr unterhalten hatte.
»Versuche, weiter mit ihm zu reden«, bat Ennos Vater sie auf dem Nachhauseweg. »Irgendwann muss er doch zur Besinnung kommen. Wir leben nun mal jetzt hier und wollen so schnell auch nicht wieder weg.« Er lächelte Paula zu. »Bakenburg ist doch gar keine hässliche Stadt, oder?«
»Nein«, sagte Paula. Bakenburg war wirklich nicht hässlich. Da gab es die berühmte alte Bakenburg auf dem Hohen Berg und die vielen alten Gassen mit ihren frisch restaurierten Fachwerkhäusern. Es gab den Stadtpark gleich neben dem Theaterplatz mit seinen vielen alten und hohen Bäumen und die über so viele Steine hinwegsprudelnde Bake, die sich quer durch die ganze Stadt schlängelte. Und es gab das in aller Welt bekannte alte Rathaus von 1507, in dem nun das Heimatmuseum untergebracht war. Bakenburg war keine Großstadt, aber eine Kleinstadt auch nicht. Genau fünfunddreißig Minuten brauchte der 9er Bus von einem Ende zum anderen. Niemand musste sich dafür schämen, in Bakenburg zu Hause zu sein.
Ennos Vater nickte lächelnd. Er hatte Paula angesehen, was sie dachte. »Und außerdem«, sagte er, als müsste er ihren Gedanken noch etwas hinzufügen, »gibt es hier etwas, das findet man nirgendwo sonst in der weiten Welt.«
»Und was ist das?«, fragte Paula neugierig.
»Die Muttersprache«, sagte Herr Fühmann.
»Aber Enno hat erzählt, dass er zur Deutschen Schule gegangen ist und noch viele andere Deutsche in Lima leben.«
»Das schon«, sagte Ennos Vater. »Aber weißt du, wie schön das ist, abends in ein Theater oder Kino gehen zu können, in dem nur Deutsch gesprochen wird? Und überall, sogar auf der Straße oder im Supermarkt, die eigene Sprache zu hören? Eine Sprache bleibt ja nie, wie sie ist. Manche neuen Wörter kannten wir noch gar nicht, weil wir sie nie zuvor gehört hatten. Es ist richtig spannend für uns, die Leute reden zu hören.«
Eine Antwort, über die Paula noch nachdenken wollte. Sie fand es toll, dass Enno so gut Spanisch konnte, als wäre er ein Spanier. Dass jemand die deutsche Sprache vermissen konnte, eine Sprache, die ihr ganz selbstverständlich vorkam, auf diese Idee wäre sie nie gekommen.
Das Gespräch mit Ennos Vater ging Paula im Kopf herum. Er hatte sie um etwas gebeten, was sie sowieso tun wollte, worüber sie mit Hennie Streit bekommen hatte und was Enno ganz und gar nicht ausstehen konnte. Wie sollte sie sich denn da verhalten? Wie konnte sie jemandem helfen, der das überhaupt nicht wollte?
Weil sie darauf keine Antwort fand, beobachtete sie Enno weiter. Sehr von weitem und möglichst unauffällig. Aber natürlich bemerkte er es trotzdem. Und vielleicht war er gerade deshalb oft so unausstehlich zu ihr.
In der Klasse verhielt er sich auch nicht anders. Er wollte einfach nicht dazugehören – und die Klasse war damit einverstanden. Beide Seiten pflegten ihre Feindschaft, als gäbe es nichts Schöneres, als dauernd miteinander im Streit zu liegen.
Einmal, als sie in der großen Pause Abschlagen spielten, rannte Connie ihn um. Enno, der wie immer abseits stand, hatte sie kommen sehen und wollte ihr ausweichen. Da änderte Connie plötzlich die Richtung und schon war es passiert. Sie prallten zusammen und Enno fiel hin. Das war keine Absicht gewesen, doch Enno, kaum hatte er sich wieder aufgerappelt, stieß Connie so wütend von sich fort, als hätte sie ihn umbringen wollen.
Alle hatten es gesehen und sofort spielten sich Sascha, Dennis und Kevin als Connies Beschützer auf. Zu dritt wollten sie auf Enno los. Enno musste weglaufen und dackelte den Rest der Pause mit hochrotem Kopf hinter Herrn
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