Paula Kussmaul laesst nicht locker
blieb stehen und schrie sie mit wutverzerrtem Gesicht an: »Hau doch endlich ab! Ich brauch dich nicht. Du bist eine richtige Zecke! Nie wird man dich los.«
Schrie es, starrte sie noch kurz mit bösen Augen an und stürzte schließlich davon.
Wenn zwei nicht wollen
Nein, Paula wollte sich nicht mehr um Enno kümmern. Sollte er doch sehen, wie er mit allem fertig wurde, wenn er so blöd war! Sie hatte seinetwegen nur Ärger, und er schrie sie an, als hätte sie ihm ins Bein gebissen. Was bildete er sich denn überhaupt ein? Glaubte er etwa auch, dass sie in ihn verliebt war? So ein Quatsch! Er tat ihr Leid, weil sie es ungerecht fand, dass niemand ihn verstand. Die Oma seiner Enkelkinder würde sie deswegen noch lange nicht werden.
Fast empfand Paula Ennos Wutausbruch als noch ungerechter als Saschas Überfälle auf ihn. Hatte sie denn nicht seinetwegen ihre beste Freundin verloren? Hennie hatte sich inzwischen ja sogar zu Marie gesetzt und kuckte sie nicht mal mehr an. Und kuckte sie doch einmal, zeigte sie ihr deutlich, wie böse sie ihr immer noch war.
Für die anderen war es das Gesprächsthema Nr. 1, dass die beiden ehemals dicksten Freundinnen der Klasse zerstritten waren, für Paula war es eine Katastrophe.
Paula hatte nichts gegen Streit, er durfte nur nicht lange dauern. Ein langer Streit, mit wem auch immer, tat ihr weh. Über den endlosen Krach mit Hennie hätte sie heulen mögen. Nichts machte ihr mehr richtig Spaß, seit Hennie nicht mehr neben ihr saß, über allem lag ein Schatten. Zuvor war sie gern zur Schule gegangen, jetzt graulte sie sich vor der Klasse. Erst die ewige »MamaPaula«-Spotterei, jetzt auch noch diese ständigen »P + E«-Lästereien. Hennie hatte damit angefangen, und vielleicht war sie es auch gewesen, die ihr ein dickes »P liebt E« ins Heft gekritzelt und an die Tafel ein riesiges, pfeildurchbohrtes Kreideherz mit einem fetten »P + E« drin gemalt hatte. »Frau Fühmann«, so sagten manche Mädchen jetzt zu ihr. Chrissie und Connie hatte sie deswegen schon Prügel angedroht. Sie hatten es dann sein lassen, aber nun kicherten sie immer gleich los, wenn sie Paula sahen, weil sie jetzt das dachten, was sie vorher laut gesagt hatten. Und konnte sie sie denn wegen ihrer Gedanken zur Rede stellen?
Mit Hennie hatte sie mal gesprochen. Wegen der Kritzeleien in ihrem Heft und an der Tafel. Aber natürlich hatte Hennie alles abgestritten. Da hatte Paula dann nur noch zu ihr gesagt, dass sie ja keine Freundinnen mehr sein mussten, ihre Stänkereien jedoch solle sie lieber sein lassen.
»Und du deine Lügen«, hatte Hennie mit bösem Gesicht erwidert. Sie meinte die Sache mit Dennis.
»Du hast damit angefangen.«
»Das ist nicht wahr! Du bist so anders geworden, seitdem dieser Papageienaffe in euer Haus eingezogen ist.« Dieses Wort – Papageienaffe! – hatte Paula gleich wieder wütend gemacht. »Ich finde es nicht schön, wie du von Enno sprichst«, hatte sie geschimpft.
Und Hennie hatte erwidert: »Was du findest, geht mir am Arsch vorbei.«
Sie hatte das wirklich gesagt. Und da hatte Paula nur noch geantwortet: »Du hast ja gar keinen, du Besenstiel.«
Ja, da war nichts mehr zu machen. Mit Hennie war es aus. Nie wieder würden sie Freundinnen sein können. Und alles nur wegen diesem Blödmann Enno, der trotz allem, was sie seinetwegen aushalten musste, auch noch sauer auf sie war und sie eine Zecke geschimpft hatte.
Paula hatte im Lexikon nachgeschlagen. Eine Zecke ist ein Insekt, das sich in Tiere und Menschen verbeißt, um ihnen Blut abzusaugen. Man wird sie nicht los, man muss sie sich rausreißen. War sie so eine? Hatte sie sich in Enno verbissen? Nur weil sie ihm helfen wollte?
Das Wort »Zecke« nahm Paula Enno besonders übel. Das war fast so schlimm wie Hennies »Wenn eine schon Kussmaul heißt«.
Stur ließ sie ihn von nun an links liegen, ging vor oder hinter ihm zur Schule, vor oder hinter ihm nach Hause. Sie kümmerte sich einfach nicht mehr um ihn. Nur dass sie ihn oft sah, das war nicht zu verhindern. Schließlich wohnten sie im selben Haus und gingen in dieselbe Klasse.
So bekam Paula mit, dass Enno auch weiterhin sehr allein war. Er saß allein an seinem Tisch, stand allein auf dem Schulhof, gluckte allein in der Wohnung herum. Denn auf die Straße ging er nicht und seine Mutter und sein Vater kamen nicht vor fünf nach Hause.
Sie war ihm böse – und trotzdem tat er ihr Leid. Das ärgerte sie noch mehr. War sie etwa doch in ihn verliebt? Quatsch!
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