Pauline Reage - Geschichte der O
Spaß. Wenn zum Beispiel Jacqueline jetzt, nachdem O ihr beim Frisieren geholfen hatte, ihre Vorführkleider auszog und den hochgeschlossenen Pullover und die Türkiskette anlegte, die so gut zu ihren Augen paßte, empfand O ein seltsames Vergnügen bei dem Gedanken, daß noch am gleichen Abend Sir Stephen von jeder Bewegung Jacquelines erfahren würde, ob sie O erlaubt hatte, die beiden kleinen, weit auseinanderstehenden Brüste unter dem Pullover zu berühren, ob ihre Lider die Wimpern, die heller waren als ihre Haut, auf die Wangen gesenkt hatten, ob sie gestöhnt hatte.
Wenn O sie küßte, wurde sie in ihren Armen ganz schwer, unbeweglich und erwartungsvoll, ließ sich den Mund öffnen und die Haare in den Nacken ziehen. O mußte immer darauf achten, sie an eine Türfüllung zu lehnen oder gegen einen Tisch und sie an den Schultern festzuhalten. Sie wäre sonst zu Boden geglitten, mit geschlossenen Augen, ohne einen Klagelaut.
Sobald O sie losließ, wurde sie wieder zu Rauhreif und Eis, lachend und fremd, sie sagte: »Ihr Lippenstift hat abgefärbt« und wischte sich den Mund ab. An dieser Fremden wollte O Verrat üben, wenn sie so sorgfältig - um nichts zu vergessen und alles berichten u können - das langsame Erröten ihrer Wangen beobachtete, den Salbeigeruch ihres Schweißes einatmete.
Man konnte nicht sagen, daß Jacqueline sich verteidigte oder argwöhnisch war. Wenn sie sich von O küssen ließ - sie hatte bisher die Küsse nur hingenommen, ohne sie zu erwidern - dann gab sie sich ohne Zögern, rückhaltlos, wurde plötzlich ein anderes Wesen, zehn Sekunden lang, fünf Minuten lang. Die übrige Zeit war sie zugleich herausfordernd und ängstlich, unglaublich geschickt im Ausweichen, nie unterlief ihr ein Fehler in dem Bemühen, sich weder mit einer Geste noch mit einem Wort oder auch nur einem Blick eine Blöße zu geben, die es erlaubt hätte, Jacqueline die Siegerin und Jacqueline die Besiegte als eine Person zu sehen, verraten hätte, daß es so leicht war, ihren Mund zu erobern.
Das einzige Indiz, das Aufschluß gab und vielleicht die Bewegung unter dem stillen Wasserspiegel ihres Blicks verriet, war der Schatten eines unwillkürlichen Lächelns, der gelegentlich über das dreieckige Gesicht glitt, so rätselhaft und flüchtig wie ein Katzenlächeln und genauso beunruhigend. O brauchte jedoch nicht lange, bis sie herausfand, daß zwei Dinge dieses Lächeln zeitigten, ohne daß Jacqueline sich seiner bewußt wurde.
Einmal die Geschenke, die man ihr machte, zum zweiten der Anblick des Begehrens, das sie erweckte - vorausgesetzt allerdings, daß dieses Begehren sich bei jemandem zeigte, der ihr nützlich sein konnte oder ihr schmeichelte. In welcher Hinsicht konnte O ihr wohl nützlich sein? Oder fand Jacqueline ausnahmsweise einfach Gefallen daran, von ihr begehrt zu werden, weil die Bewunderung, die O ihr entgegenbrachte, ihr wohltat und auch, weil das Begehren einer Frau keine Gefahr und keine Folgen mit sich bringt?
O war überzeugt, daß sie Jacqueline anstelle des Perlmutclips oder des letzten Herm,s-Halstuchs mit dem aufgedruckten >Ich liebe dich< in sämtlichen Sprachen der Welt, nur die hundert oder zweihundert Francs hätte schenken brauchen, die Jacqueline ständig zu fehlen schienen, und sie hätte nicht mehr behauptet, keine Zeit zu haben, um zu O zum Mittagessen oder einem Imbiß zu kommen, hätte sich nicht mehr ihren Berührungen entzogen. Aber den Beweis dafür bekam O niemals. Sie hatte kaum darüber zu Str Stephen gesprochen der ihr vorwarf, zu langsam vorzugehen, als auch schon Rene eingriff.
Die fünf, sechs Male, die Rene O abgeholt hatte, waren sie alle drei entweder zu Weber gegangen oder in eine der englischen Bars rund um die Madeleine; Rene betrachtete Jacqueline mit genau der gleichen Mischung aus Interesse, Sicherheit und Unverschämtheit, mit der er in Roissy die Mädchen betrachtete, die ihm ausgeliefert waren. Von Jacquelines strahlender und fester Rüstung glitt die Unverschämtheit wirkungslos ab, Jacqueline bemerkte sie nicht einmal. O dagegen wurde widersinnigerweise davon betroffen, sie fand eine Haltung, die sie sich selbst gegenüber richtig und natürlich fand, Jacqueline gegenüber beleidigend.
Wollte sie Jacquelines Verteidigung übernehmen oder wünschte sie, Jacqueline allein zu besitzen? Sie hatte es selbst kaum sagen können, zumal sie Jacqueline ja nicht besaß - noch nicht. Aber sollte es ihr gelingen, so müßte sie zugeben, daß sie es Rene zu
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