Pauline Reage - Geschichte der O
trägst?«
»Er sagt, ich bin noch nackter, wenn ich enthaart bin. Der Ring, ich glaube, an dem will er mich anhängen.« Yvonnes grüne Augen und ihr kleines, dreieckiges Gesicht erinnerten O an Jacqueline. Ob Jacqueline nach Roissy ging? Dann würde Jacqueline eines Tages hierherkommen, hier sein, auf dieser Estrade ausgelegt.
»Ich will nicht«, sagte O, »ich will nicht, ich werde nichts tun, um sie herzubringen. Ich habe ihr schon viel zu viel davon erzählt. Jacqueline ist nicht dafür geschaffen, geschlagen und gezeichnet zu werden.«
Doch wie gut standen die Peitschenspuren und Eisen der kleinen Yvonne, wie süß war ihr Schweiß und ihr Stöhnen, wie süß war es, sie dahin zu bringen. Denn Anne-Marie hatte O schon zweimal die geschwänzte Peitsche gereicht, und jedesmal damit sie Yvonne schlagen sollte. Beim ersten Mal, im ersten Augenblick hatte sie gezögert, bei Yvonnes erstem Schrei war sie zurückgewichen, doch dann hatte sie wieder zugeschlagen und Yvonne hatte wieder, noch lauter, geschrien, und sie war von einer schrecklichen Lust ergriffen worden, so durchdringend, daß sie wider Willen vor Freude lachte und sich zurückhalten mußte, um die Schläge nicht zu schnell und nicht aus voller Kraft zu verabreichen.
Danach war sie bei Yvonne geblieben, solange Yvonne angebunden lag und hatte sie immer wieder geküßt. Zweifellos war sie ihr in irgendeiner Weise ähnlich. Wenigstens schien Anne-Maries Verhalten das zu beweisen. War es Os Schweigsamkeit, ihre Gefügigkeit, die sie reizte? Os Wunden waren kaum vernarbt: »Wie schade«, sagte Anne-Marie, »daß ich dich nicht peitschen lassen kann. Wenn du wiederkommst … Na, aufjeden Fall werde ich dich alle Tage ausstellen lassen.«
Und jeden Tag, wenn das Mädchen im Musiksaal losgebunden wurde, legte O sich an ihre Stelle bis die Glocke zum Abendessen läutete. Und Anne-Marie hatte recht: es stimmte, sie konnte während dieser ganzen zwei Stunden an nichts anderes denken als an die Tatsache, daß sie mit gespreizten Beinen hier lag, an den Ring, der ihren Schoß beschwerte, seit er angebracht worden war und der noch viel schwerer wog, weil der zweite Ring dazugekommen war.
An nichts anderes als an ihr Sklaventum und an die Male ihres Sklaventums. Eines Tages war Claire mit Colette vom Garten hereingekommen, zu O hingetreten und hatte die Ringe umgedreht. Sie trugen noch keine Inschrift. »Wann bist du zum ersten Mal in Roissy gewesen«, sagte sie, »hat Anne-Marie dich hingeschickt?«
»Nein«, sagte O. »Mich hat Anne-Marie hingeschickt, vor zwei Jahren. Übermorgen fahre ich wieder hinaus«.
»Aber du gehörst doch niemandem?« sagte O. »Claire gehört mir«, sagte Anne-Marie, die unbemerkt eingetreten war.
Dein Gebieter kommt morgen, O. Du wirst heute Nacht bei mir schlafen. Die kurze Sommernacht erhellte sich langsam und gegen vier Uhr morgens löschte der Tag die letzten Sterne. O, die mit geschlossenen Knien schlief, wurde durch Anne-Maries Hand zwischen ihren Schenkeln aufgeweckt. Aber Anne-Marie wollte nur, daß O sie berühren solle. Ihre Augen glänzten im Halbdunkel und ihr schwarzes, grau durchwebtes, kurz geschnittenes und vom Kopfkissen hochgeschobenes Haar, das kaum gelockt war, verliehen ihr das Aussehen eines Grand Seigneurs im Exil, eines furchtlosen Libertins. O liebkoste mit ihren Lippen die harte Spitze der Brüste, mit der Hand die Höhlung des Schoßes.
Anne-Marie gab sich sehr schnell ihrer Erregung hin - sie gab sich nicht O hin. Die Wollust, in der sie die Augen weit dem Licht öffnete, dem sie zugewandt war, war eine anonyme und unpersönliche Lust, O diente ihr nur als Werkzeug. Es war Anne-Marie gleichgültig, daß O ihr glattes und verjüngtes Gesicht bewunderte, den schönen, keuchenden Mund, es war ihr gleichgültig, daß O sie stöhnen hörte, als sie die Fleischknospe in der Furche des Schoßes zwischen Zähne und Lippen zog. Sie packte O nur beim Haar, um sie stärker an sich zu pressen und ließ sie nur los, um ihr zu befehlen:
»Weiter.«
O hatte auf die gleiche Weise Jacqueline geliebt. Sie hatte sie in völliger Selbstvergessenheit in den Armen gehalten. Sie hatte Jacqueline besessen, glaubte sie zumindest. Doch die Identität der Gesten hatte nichts zu bedeuten. O besaß Anne-Marie nicht. Niemand besaß AnneMarie. Anne-Marie forderte die Liebkosungen ohne sich darum zu kümmern, was der Gebende empfand und sie überließ sich ihrer Wollust mit hochmütiger Unbekümmertheit. Dennoch war sie zärtlich
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