Pauschaltourist
Yachten angereist zu sein. Dass Mobilität nicht zu
den vorstechendsten Eigenschaften von Pauschaltouristen gehörte, hatte ich längst gelernt.
Im kleinen Ort Sagres, wo es keine Brauerei gab, aßen wir Pizzaähnliches, beäugten einen wenig pittoresken Hafen und ließen
uns schließlich an einem Strand nieder, der schon zur westlichen Atlantikseite wies und an dem vor allem junge Leute mit Wakeboards,
Surfbrettern und ähnlichem Gerät zugange waren. Hier gab es keine Infrastruktur und keine Gebäude. Hätte nicht ein Paar Aktivboxen,
das an einem Mobiltelefon hing, den Strand von schräg vor uns mit
Lady Gaga
oder etwas ähnlich Idiotischem beschallt, wäre es klasse gewesen. Nina wackelte mit den Zehen und sagte: »Eigentlich ist es
richtig schön hier.«
Ich versuchte mich kurz an den ziemlich mächtigen Wellen, aber ohne Neoprenanzug war das wirklich nichts für mich und meinen
Schniepel. Nina reichte mir eine sibirisch kalte Flasche »Sagres«, als ich mich abgetrocknet hatte. Ein geschätzt sechzig
Jahre alter Portugiese in weißem Hemd und Anzughose schob einen museumsreifen Leiterwagen, auf dem eine Kühlbox befestigt
war, durch den Sand. Und er lächelte dabei.
Eine etwa fünfundzwanzigjährige Frau mit schwarzem Pagenschnitt kam direkt vor uns aus dem Wasser. Die Ähnlichkeit mit der
jüngeren Silke war so verblüffend, dass mir sofort ganz mulmig wurde. Ich schluckte schwer. Zwei Minuten und ein heftiges
inneres Hin-und-Her später schnappte ich mir Ninas Telefon und rief meinen eigenen Festnetzanschluss an. Es gab nur eine neue
Nachricht. Die allerdings war zehnminütig, wobei sieben davon aus Schluchzen, Heulen und Zähneklappern bestanden. Sie endete |271| damit, dass sich Silke nach ihrem Urlaub – IHREM? – unbedingt mit mir treffen wolle. Das sei alles nicht so »gelaufen«, wie
sie das gewollt hätte, und sie sei verwirrt und verzweifelt (und
verliebt
, du treulose Ratte! IN STEINI!) und all das. Ich hatte zwar eine Gänsehaut, als ich das abhörte, aber es ließ mich doch kälter
als gedacht. Ändern konnte ich es sowieso nicht mehr.
Ich erwachte, weil meine Füße kalt wurden. Nina stand schon und hielt ihr nasses Badetuch in den Händen. Sie fluchte wie ein
Waldarbeiter. Richtig, hier gab es ja Gezeiten. Ich sprang auf und riss mein Handtuch mit. Vier Meter schräg vor uns schwappte
das Meerwasser gegen einen kleinen Felsbrocken, auf dem die Gaga-Anordnung aus Telefon und Lautsprechern stand und immer noch
irgendeinen Unsinn plärrte. Der Besitzer planschte wahrscheinlich gerade auf dem Board einer
gaga
ntischen Welle entgegen. Ich stapfte durch das kniehohe, kneippkurkalte Wasser und wickelte die Elektronik in mein Handtuch.
»Der Ritter«, witzelte Nina.
Binnen weniger Minuten blieb vom ehemals geräumigen Strand nur noch ein schmaler Streifen übrig, auf dem sich die Badegäste
drängten, die nicht inzwischen abgezogen waren. Wir saßen auf einem Fels und tranken eine zweite Runde Bier. Dann kam eine
größere Gruppe Halbwüchsiger aus dem Wasser, kräftige junge Burschen mit verwuschelten Kurzhaarfrisuren, kantigen Gesichtern
und einer Bräune, die mit Ninas konkurrieren konnte. Sie trugen ihre Boards so extrem lässig, dass mir beim Anblick von derartig
geballter Coolness ein Grinsen in die Mimik fuhr – mein erstes heute. Ein Blondschopf blieb noch im hüfthohen Wasser stehen,
und dann entglitten ihm die coolen Gesichtszüge. Richtig, da war doch was. Hier irgendwo musste ein Mobiltelefon herumschwimmen.
Eines, das ganz sicher nicht meerwasserfest war.
Ich wollte aufspringen, aber eine schadenfroh lächelnde Nina legte mir die Hand auf die Schulter. Also wartete ich noch ein
paar Minuten, bis der Junge seinen Besitz erkennbar abgeschrieben hatte. |272| Die anderen lachten ihn herzlich aus, aber er selbst fand das nicht so lustig. Bevor er noch anfangen würde zu heulen, um
sich damit vor der windschnittigen Burschenschaft lächerlich zu machen, rief ich ihn an und hielt dabei eine Box in die Höhe.
Als Dank baten uns die Jungs, siebzehnjährige Schüler aus einer teuren bayerischen Seegegend, zum gemeinsamen Grillen. Wir
folgten den Mopeds zum nahegelegenen Zeltplatz und aßen mit ihnen verbranntes Fleisch ohne Beilagen, während die Buben von
Dingen faselten, die ich nicht verstand, sicher in einer Surfer-extremcool-Geheimsprache. Ich trank noch zwei Bierchen, aber
Nina hielt sich glücklicherweise zurück. Dieser
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