Pauschaltourist
sagen, stand sie auf und kam mir rasch entgegen, griff nach meiner Hand.
»Meine Güte. Was ist denn los?«
Ich konnte nichts sagen, nur den Kopf schütteln. Aber ich wollte auch nicht alleine in meinem standardisierten Zimmer hocken
und die Wände anheulen. Nina ließ meine Hand nicht los und zog mich zu den Liegen. Barbara riss die Augen auf, als sie mich
sah. Ich legte mich hin und schloss meine.
»Ehrlich, ich sage so etwas nicht oft, und ich hätte vor ein paar Wochen noch jede Wette abgeschlossen, es niemals und auf
gar keinen Fall
überhaupt
zu dir zu sagen – aber du bist der netteste Mensch, der mir seit langem begegnet ist. Du bist zwar ein verdammter Zyniker,
aber eigentlich ein echter Philanthrop. Du interessierst dich für andere. Du willst ihnen sogar helfen, sie vor Dummheiten
bewahren. Du setzt dich ein.« Sie schniefte. »Es tut mir so leid.«
Wir saßen auf einer Restaurantveranda irgendwo weiter westlich am Strand; unser Hotel lag fast am östlichen Ende. Vor uns
standen ein paar Bierflaschen, aber ich hatte keine Lust auf nichts. Meinethalben hätte in diesem Augenblick Feierabend sein
können, |264| mit allem. Einfach Licht aus und fertig. Weg mit dem Planeten.
»Vielleicht hast du gehofft, dass da doch noch was ist, unbewusst, im Bereich der Verdrängung. Und jetzt platzt einfach alles
auf.«
»Das ist möglich«, sagte ich stockend gegen den erbarmungslosen Drang, sofort wieder loszuheulen. »Aber diese Sache mit Ingo.
Das ist mein bester Freund.«
»Gewesen«, murmelte Nina. Ich nickte und fühlte dabei, wie das Wasser abermals in meine Augen trat. Heiliger Geier, ausgerechnet
Steini. Den ich noch herzlich umarmt hatte, als Dank dafür, dass er – wie hatte ich es formuliert? – zu meinen wenigen Aktivposten
gehörte. Dem ich ein paar Tage vorher gestanden hatte, wie es um Silke und mich bestellt war. Dabei wusste er das zu diesem
Zeitpunkt längst sehr viel besser als ich. Dieses miese Stück Scheiße.
»Wenn du ein paar Jahre älter wärst, würd ich mich sofort in dich verlieben«, versuchte sie es weiter. Da musste ich fast
schmunzeln.
»Ich bin ein
Jüngelchen
.«
»Ein liebenswertes.
Und
ein toller Mann.«
Ich antwortete nicht. Was auch?
»Trink was«, sagte sie.
»Das hilft nicht wirklich.«
»Ich weiß.« Sie versuchte sich an einem Lächeln. »Aber es bewirkt, dass man weniger dran denkt. Und
das
funktioniert tatsächlich. Außerdem machen das hier alle.«
Sie hatte recht. Am frühen Nachmittag war ich so blau, dass ich nicht mehr wusste, in welchem Land wir uns befanden; Silke
und Steini wurden zu auf der Bühne herumholpernden, lachhaften Laienschauspielern in einem bayerischen Volksstück auf BR3.
Am frühen Abend kletterten wir Hand in Hand mühevoll über das Mäuerchen zum Pool, und ich versuchte dabei, das Lied mit dem |265| Lasso, den Cowboys und den Indianern zu intonieren, sehr zur Belustigung der drei Touristen, die so spät noch am Schwimmbecken
lagen. Nahm ich jedenfalls an, ihre Gesichter konnte ich nur verschwommen erkennen. Wir lachten laut über das Essen, das uns
der Kellner gleich anschließend im Rahmen der Halbpension servierte – stinkendes, öliges, fettrandiges, halb durchgegartes
und sich wild wellendes Trennfleisch von einem Schwein, dessen Schlachtung so lange zurücklag, dass sogar die Urenkel der
Sau inzwischen altersschwach sein mussten. Wir bewarfen uns mit Pommes in der Konsistenz benutzter Tampons, und als uns der
zwergenhafte Kellner aufforderte, besseres Benehmen an den Tag zu legen, schmiss Nina ihr Schnitzelimitat in seine Richtung.
»Wenn du das isst, darfst du mich ficken!«, brüllte sie dazu. Ich kicherte mir einen Ast ab. Möglich, dass der etwas verhuscht
wirkende ältere Herr, in dessen Begleitung der Serviermensch wiederkehrte, tatsächlich der Hotelbesitzer oder -manager war,
aber wir prusteten Bier in seine Richtung, wobei Nina ihr originelles Angebot wiederholte. »Wir machen einen Dreier! Das wird
geil!«, krähte sie, und wir klopften uns dabei die Oberschenkel wund. Dann fiel auf der anderen Seite mehrfach der Begriff
»Polizei« in verschiedenen Sprachen, aber es war die plötzlich aufkreuzende Erlebnisbad-Barbara, die uns davor bewahrte, im
Vollrausch zwischen unseren Koffern und einem verstörten Pudel auf der nächtlichen Straße zu landen. Meine letzte Erinnerung
betraf ein Ständchen, das ich ihr im Aufzug zu bringen versuchte:
Die schwarze
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