Pauschaltourist
Campingplatz mitten im Pinienwald hatte etwas Hippiemäßiges, das mir sehr
gefiel, aber da es zu dunkeln begann, nötigte mich Kollegin Blume bald zum Aufbruch. Das Navi meinte, die knappen hundert
Kilometer würden zwei Stunden Fahrzeit beanspruchen. Nina brauchte keine vierzig Minuten.
|273| 5.
Am Abend lud uns Barbara zum Essen ein, um den Erfolg zu feiern, dass sie den Job im Aquapark bekommen hatte. Sie würde zwar
weniger verdienen als ein deutscher Langzeitarbeitsloser, aber es sei ein Anfang, meinte sie. Wir gingen in ein vermeintliches
Nobelrestaurant auf der Rückseite der Marina von Vilamoura – eine architektonische Missgeburt, die mich aber kaum noch so
anwiderte, wie das noch vor ein paar Wochen der Fall gewesen wäre. Bei Tisch stellte ich unbehaglich fest, dass wir uns in
nur geringer Entfernung vom Casino befanden, und unser Beschützer Ger war heute nicht bei uns. Ich verdrängte den Gedanken
wieder. Hier sandalten so viele Touristen herum, dass die Wahrscheinlichkeit, abermals auf Messer-Putin zu treffen, geringer
schien als ein erneuter Roulettegewinn mit einem blind gesetzten Chip. Ich entspannte mich etwas und lauschte der zukünftigen
Mitarbeiterin einer so überflüssigen Freizeiteinrichtung wie etwa eines Beachvolleyballplatzes in der Arktis.
Barbara hatte die üblichen, scheinbar plausiblen Gründe für ihren Ausstieg. Mehrere unglückliche Beziehungen, darunter eine
Ehe, die ihr sechsstellige Schulden beschert hatte – zum Glück fast zeitgleich mit einem kleinen Erbe, das dadurch komplett
aufgebraucht worden war. Fade Jobs, mobbende Kollegen, fortwährende Müdigkeit, ständig genervt wegen des Wetters und so weiter.
Dann eine Affäre mit einem deutlich jüngeren Kellner auf Mallorca, die so heiß gewesen war, dass es der Bielefelderin beim
Erzählen die Schamesröte ins Gesicht trieb, ohne dass sie Details erwähnte. Nur leider war der Traummann bei ihrem nächsten
Besuch nicht mehr aufzufinden gewesen.
Nina grinste nur und schwieg dabei. Zwischen den Gängen zündeten |274| sich die Frauen gegenseitig Zigaretten an, bis meine Reisebegleitung stutzte und sich mir zuwandte. »Sag mal, rauchst du nicht
mehr?« Ich nickte und grinste dazu, zum zweiten Mal an diesem Tag.
Trotz Barbaras ausführlicher Begründung hatte ihr Vortrag einen faden Beigeschmack. Es war offensichtlich, dass sie hier oder
anderswo in einem Urlaubsgebiet keineswegs ihr Liebesglück finden würde, denn die Herren der südlichen Schöpfung ließen sich
aus gutem Grund mit Touristinnen ein, nicht aber mit gestrandeten, kurz vor der Pleite stehenden Wetterflüchtlingen. Es mochte
sein, dass die üppige, in unserer Gegenwart Unmengen in sich hineinschaufelnde Frau mit ihren siebenunddreißig Jahren und
locker drei Mal so viel Körpergewicht in Kilo das Schönheitsideal einiger hiesiger Männer verkörperte, doch die Vermutung
lag nah, dass es nicht
diese
Männer waren, die Barbara im Auge hatte. Trotzdem konnte sie sich der Täuschung, auf die sie als Touristin bereits hereingefallen
war, nicht entziehen. Nina versuchte vorsichtig, entsprechend zu argumentieren, stieß jedoch auf entschiedenen Unwillen. Ähnlich
verhielt es sich mit den Karrierevorstellungen der runden Frau. Sie war keineswegs dumm, aber ihre Autosuggestion funktionierte
besser als ihre Vernunft. Sie hoffte, alsbald einen höheren Posten bekleiden oder in eine andere Firma wechseln zu können,
um hier richtig Fuß zu fassen, ein Häuschen zu kaufen, vielleicht sogar ein eigenes Hotel zu betreiben. Ich dachte an Hugo
Marques und das Wellfleisch aus seiner Küche.
Und dann noch das mit dem Wetter. Es ist eine Binsenweisheit, dass Genuss im Überfluss zur Abstumpfung führt und dass man
angenehme Dinge nicht mehr als angenehm empfindet, wenn man pausenlos mit ihnen konfrontiert ist. Außerdem war das hier die
Atlantikküste und nicht das beschauliche Mittelmeer. Barbara aber wollte von all dem nichts wissen und malte sich stattdessen
eine Zukunft auf einer ausladenden Veranda irgendwo über einer einsamen Bucht aus, neben ihr ein athletischer (viel jüngerer)
Portugiese |275| (oder ein zufällig anwesender Spanier – die bessere Wahl) und fünf Gören, drei eher deutsch und zwei mit schwarzem Kraushaar.
Dazu ein Bilderbuchsonnenuntergang, eine Flasche Vinho Verde und eine Industriepackung Vollmilchschokolade.
Ich zuckte innerlich pausenlos mit den Schultern und dachte mir meinen Teil.
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