Pausen tun uns gar nicht gut
in so
einer Situation an so einen Scheiß denken könne und droht mit angespannter
Miene, bei weiteren derartigen Sätzen mir eins in die Fresse zu hauen. Eine
hörbare Erleichterung stellt sich ein, als das Vieh von uns ablässt. Wir
wandern weiter und treffen noch das eine oder andere bekannte Gesicht
vergangener Wochen, verweilen in einem kurzen Gespräch und genießen einige Male
die gute Sicht aufs Meer. Wir erreichen Lires, benötigen einen
Stempel in unseren Pilgerpass und erhalten ihn in einer Bar am Dorfplatz. Wir
nutzen den Aufenthalt für eine Tasse Kaffee, und es gesellt sich Klaus, ein
Mann aus Duisburg, zu uns. Er erzählt, dass er Rentner ist und
seine Frau vor vier Jahren gestorben sei. Sie wollte schon seit vielen Jahren
den Camino gehen und hatte Ihn um Begleitung gebeten. Für völlig abgedreht,
total verrückt hätte er seine Frau gehalten, berichtet Klaus. Ihr Tod kam so
plötzlich und hat ihn ganz schön aus der Bahn geworfen. Jetzt ist er ihren Weg
gegangen und hat sich dabei auf Gott verlassen. Er hat in diesen sechs Wochen
so viele schöne Dinge erlebt und dabei oft mit seiner Frau gesprochen. Sein
noch zu erwartendes Leben bezeichnet er als Restlaufzeit. Er sagt, je älter ein
Mensch wird, desto wertvoller wird seine Zeit, denn die eigene Endlichkeit ist
einem mit zwanzig oder dreißig Jahren gar nicht bewusst. Recht hat er, denke
ich und schreibe mir seine Sätze auf, um sie nicht gleich wieder zu vergessen.
Als er noch selbst geschriebene Gedichte vorträgt, die er für jeden einzelnen
Wandertag verfasst hat, spüre ich, wie der Mann mich begeistert. Weil er für
sich beschlossen hat, an diesem Ort zu übernachten, tauschen wir noch unsere
E-Mailadressen aus und verabschieden uns voneinander.
Wir drei machen uns wieder auf
den Weg und überqueren dabei einen Fluss. Weil über diesen keine Brücke führt,
heißt es Schuhe und Socken ausziehen und von Stein zu Stein, die knöcheltief
unter der Wasseroberfläche liegen, hindurch zu waten.
Wenig später erreichen wir Muxía ,
eine Stadt, die nicht unbedingt schön anzusehen ist.
Der Legende nach kam die
Jungfrau Maria zu der Zeit, als der Apostel Jakob in dieser Gegend predigte, an
die Küste. Sie ermunterte ihn bei seiner Predigt. Ihr zu Stein gewordenes Boot
blieb dabei für immer an jenem Ufer festgebunden, das heute das Ziel einer der
beliebtesten Wallfahrten Galiziens ist. Wir besichtigen die Kapelle, die auf
dem Stein errichtet wurde und suchen wenig später das öffentliche Pilgerbüro.
Hier erfahren wir, dass es bis 16:30 Uhr geschlossen ist. Die Zeit überbrücken
wir mit einem Essen und holen anschließend unsere Pilgerurkunde, die wir uns
ehrlich verdient haben.
Für die Rückreise nach Finisterre ordern wir ein Taxi und sitzen das erste Mal nach fünf Wochen wieder in einem
Auto. Als wir in Finisterre ankommen, ist Hubert, der auf dem
Beifahrersitz Platz genommen hatte, völlig schweißgebadet und gesteht, dass er
das Autofahren nicht verträgt. Für ihn sei der Tag gelaufen und er müsse sich
hinlegen. Ecki und ich nehmen eine Dusche und gehen gemeinsam mit Heidi, die
diesen Tag am Atlantik verbracht hat, zum Abendessen. Es wird unser letztes
Pilgermenü sein. Dabei lernen wir einen Fahrradpilger aus Australien kennen,
der im September letzten Jahres in Singapur gestartet ist. Er zeigt uns seine
gesammelten Stempel und rührt anständig die Werbetrommel für sein zu
erwartendes Buch über die erlebten Abenteuer.
25.06.2009 Busfahrt
Kap Finisterre — Santiago de
Compostela
Nach einem ausgedehnten
Frühstück mit Blick auf den kleinen Hafen von Finisterre zeigt
mir Heidi die kleine Badebucht, in der sie gestern mit Beate, einer
Krankenschwester aus der Nähe von Stuttgart, den Tag verbracht
hat. Beate, die über 2000 km gepilgert ist, weil in der Schweiz gestartet, hat
ihre Erlebnisse mit Heidi geteilt. Das Wort ‚unglaublich‘ kam fast in jeden
ihrer Sätze vor. „Unglaublich, was für Strecken wir gelaufen sind, unglaublich,
welche Menschen uns nahe waren, unglaublich, unglaublich, unglaublich.“ Die
Bucht, etwas versteckt und Pilgertag in Larrasoaña kennen
lernten. Seit dem dritten Tag wandert er allein. Seine Cousine hatte gleich zu
Anfang Schwierigkeiten mit dem Rucksack und hat die Reise daraufhin
abgebrochen. Was für ein Dilemma und wieder einmal wissen wir, wieviel Glück,
aber auch Fügung bei uns im Spiel war.
Dann vor der Kathedrale
begegnen wir dem Urbayern Karl, der gerade
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