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Pausen tun uns gar nicht gut

Pausen tun uns gar nicht gut

Titel: Pausen tun uns gar nicht gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bennecke,Jürgen
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mit 20 Bögen den Fluss
Órbigo überspannende Brücke gelangen wir in die Ortschaft Hospital de
Órbigo.
    Diese Brücke ist die längste
und eine der berühmtesten Brücken auf dem gesamten Pilgerpfad. Sowohl wegen
ihrer Architektur als auch ihrer Geschichte: Hier ereigneten sich im Jahre 1434
jene Ritterkämpfe, die als „paso honroso“, das heißt „Ehrenvoller Waffengang“,
bekannt wurden und die Grundlage für ein alljährlich gefeiertes
Mittelalter-Spektakel bilden. Ein Ritter namens Suero de Quiñones ließ sich
angesichts dieser Brücke etwas Besonderes einfallen. Um die Gunst der Dame
seines Herzens zu gewinnen, ließ er sich ein Kettencollier um den Hals legen,
als Zeichen, von einer edlen Dame gefesselt zu sein und gelobte, ihr zu Ehren
300 Turnierkämpfe auszufechten. Damit es an Gegnern nicht mangelte, blockierte
er mit neun Getreuen die Brücke über den Río Órbigo. Viele Ritter befanden sich
auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Dreißig Tage kämpfte
Suero de Quinones gegen jeden vorüberkommenden kampfeswilligen Recken und brach
300 gegnerische Lanzen.
    So erfüllte er sein Gelübde und
die Halsfessel konnte ihm abgenommen werden. Ob sich der Aufwand gelohnt hat
und die Dame den ritterlichen Heldenmut ihres Anbeters erhört hat, ist nicht
überliefert.
    Wer dafür sorgt, dass so eine
Geschichte noch Jahrhunderte später erzählt wird, kann ruhig zugeben, dass sich
von so einem Gehabe keine Frau beeindrucken lässt.
    Vielleicht ist es aber nur ein
Trick vom örtlichen Tourismusverein, der jedes Jahr einen Anlaß zum Feiern
braucht.
    Noch auf der Brücke laufend, begrüßt
uns der pensionierte Berufsoffizier, den wir in Navarrete kennen
gelernt hatten, mit einem überschwänglichen „Hallo, Hallo, Hallo“. Er sitzt mit
seiner vierten Ehefrau beim Rotwein auf einer Restaurantterrasse unter einem
Sonnenschirm und lässt es sich gut gehen.
    Sie hätten sich ein Stück des
Weges ausgespart und seien mit dem Zug etwas vorgefahren, erzählt er uns. Ich
glaub das nicht, wir laufen uns hier bei sengender Hitze die Füße platt, sind
kaputt, durstig und verstaubt, und der fährt mit seiner Madame seelenruhig den
Camino ab. Womöglich erzählt er dann im heimischen Gießen, wie
fit er immer noch in seinem Alter ist und prahlt, dass der Jakobsweg für seinem
durchtrainierten Körper ein Spaziergang war. Wir treffen ihn wenig später im
Supermarkt wieder und ertappen ihn dabei, wie er sich gerade den billigsten
Wein des gesamten Ladens kauft. Als er uns erkennt, ist es ihm sichtlich
peinlich. Er erzählt, wie unglaublich gut dieser Wein ihm bekommen würde und er
nicht verstehen könne, dass der wesentlich schlechtere Rebensaft teurer ist.
Aber so sind die Spanier, die haben weder Ahnung noch Geschmack, versichert er.
    Wir beziehen eine wunderschöne
kirchliche Herberge mit Innenhof und Garten, die den Namen „Karl Leisner“
trägt. Der Name erinnert an einen Märtyrer der katholischen Kirche, der an den
Folgen seiner KZ-Haft verstarb. Hier treffen wir Anna aus Güstrow und Ecki, unseren sachsen-anhaltinischen Mitpilger, aus Schlanstedt wieder. Das Pilgermenü essen wir zusammen mit Ecki und dabei erzählt er uns,
warum er diesen Weg auf sich genommen hat. Er müsse sein Leben komplett
überdenken, er habe bisher sehr egoistisch gelebt und sieht diesen Weg als
einen Anfang, etwas zu verändern.
    Wieder in der Herberge, reden
wir im Garten noch ein wenig mit Anna und verpassen dabei fast die Nachtruhe.
     
     
     
    12.06.2009

Hospital
de Órbigo — Rabanal del Camino 38 km
     
    Nach einem Frühstück mit
Toastbrot und Kaffee geht es wieder in einen heißen Tag. Zuvor verabschieden
wir uns noch von Anna. Für sie ist heute Astorga das Ziel und
damit ist es wohl auch ein Abschied für immer. Wir verlassen Hospital de
Órbigo und holen wenig später Ecki ein. Sein schmerzverzerrtes Gesicht
verrät nichts Gutes. Die Gelenke würden ein derartiges Stechen verursachen,
dass er über einen Abbruch der Reise nachdenkt. Er bittet uns auf einer
Postkarte zu unterschreiben, denn alle die er auf seiner Reise lieb gewonnen
hatte, müssten sich hier als Erinnerung verewigen. Wir unterschreiben und
wünschen uns gegenseitig alles Gute beim Abschied. Die Landschaft verändert
sich schlagartig, die fruchtbare Tiefebene des Tierra de Campos wird von einer
kargen Hügellandschaft abgelöst, der Maragatería.

    In Astorga machen
wir an einem Straßencafé eine kurze Pause und Heidi entdeckt eine kleine Blase
am Zeh.

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