Pausen tun uns gar nicht gut
sind
vorhanden. Wir nehmen ein vorzügliches Abendbrot zu uns und sitzen mit unseren
Freunden aus Bayern, Hannelore aus Hamburg, einem Brasilianer,
einem Spanier und einem Russen am Tisch. Der Russe, ein Moskauer Medizinstudent
erzählt uns, dass seine Pilgerreise am 1. Februar in Bukarest begonnen hat. Er hat sich sein Abendessen selbst zubereitet und Heidi half ihm
beim Kartoffelschälen. Er isst so viel, als ob er seit Februar keine Nahrung
mehr zu sich genommen hat. Wir amüsieren uns am Tisch darüber köstlich, weil
sein Körpergewicht mit Sicherheit nicht mehr als 55 kg betragen kann und keiner
am Tisch versteht, wie sich die riesige Portion in diesem schmalen Körper
verteilt. Ich komme ein wenig näher mit Hannelore ins Gespräch. Sie erzählt,
dass sie eine sehr geringe Rente bezieht, ihr Leben demnach sehr bescheiden
eingerichtet hat, um das Beste aus der Situation zu machen. Wie könne sie ihr
Leben denn anders gestalten, fragt sie mich. Soll ich etwa in meiner Hamburger
Wohnung auf den Tod warten? So günstig wie hier auf dem Camino könne sie
nirgends auf der Welt Urlaub machen und dabei so viel erleben. Sie habe in
ihrem Leben vieles versucht und manchmal war es eben auch zu viel, ganz nach
dem Motto...gebt mir zu Lebzeiten die Blumen und lasst mein Grab verwildern...
Sie könne aber rückblickend mit
Gewissheit sagen, ihr Leben habe sich gelohnt zu leben, auch wenn es nicht immer
einfach war. Sie erzählt von Ihrem Lebensabschnitt in Griechenland, wie gern
sie dort gelebt habe und dass sie nach Deutschland überhaupt nur zurückgekehrt
sei, um etwas für ihre Rente zu tun. Ich frage sie, ob sie gläubig sei. Ihre
Antwort erstaunt mich ein wenig. Gott sei ihr ständiger Begleiter und sie
glaube auch fest an Ihn. Sie sei aber schon lange kein Mitglied der Kirche
mehr, nicht wegen der Kirchensteuer, sondern wegen der Verlogenheit und
unendlichen Heuchelei in den Priester- und Pfarrämtern. Dort reden die
Kirchenfürsten von Gnade, Vergebung und Liebe und sind selbst nichts von alldem
zu geben bereit. Gott und die Kirche sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe,
für die es keinen gemeinsamen Schuhlöffel gibt. Auf meinen Einwand, dass die Kirche
nur von Menschen geführt werden kann und unter dem Dach der Kirche
selbstverständlich auch Fehler passieren, antwortet sie, dass sich unter dem
Dach der Kirche keine Fehler ereignen. Es handele sich um Kriminelle, und die
sind dort besonders komprimiert.
10.06.2009
Puente
de Villarente — León 13 km
Ein Superfrühstück mit Toast
und Filterkaffee lässt uns den Abschied von Angelika und Wolfgang leichter
fallen. Hier werden sich unsere Wege trennen, denn die beiden wollen den 30
km-Tagesrhythmus beibehalten, während wir zwei León besichtigen
und uns etwas Ruhe gönnen möchten. Am zweiten Pilgertag in Larrasoaña haben wir uns in der Bar kennen gelernt und fast jeden Abend miteinander
verbracht. Das schweißt natürlich zusammen, denn von liebgewordenen
Freundschaften trennt es sich immer schwer, und so nehmen wir uns gegenseitig
in den Arm.
Die 13 km liegen sehr schnell
hinter uns und wir erreichen die Hauptstadt der Provinz Kastilien gegen 10:00
Uhr. Wir suchen uns eine kleine Privatpension direkt über dem Gemüsemarkt, in
Sichtweite der Kathedrale der wir anschließend einen Besuch abstatten.
Diese aus der Frühgotik
stammende, zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert gebaute, Kathedrale Santa María
de Regla gilt als eine der schönsten Spaniens. Im Innenraum kann man 1800
Quadratmeter bunte Glasfenster bestaunen. Durch die großen Fenster strömt viel
Licht ins Kircheninnere. Am auffälligsten sind die gotischen Bildhauerarbeiten
an den drei Portalen der Hauptfassade. Wir stromern durch die Altstadt, durch
kleine enge Gassen, suchen uns ein Café und trinken schon mittags Rotwein.
Heidi schreibt Ansichtskarten, und ich vermerke Notizen im Tagebuch. Richtig
wohl fühlen wir uns mit dem Ruhetag auch nicht und so verplempern wir einfach
unsere Zeit. Ich setze mich vor die Kathedrale auf eine Bank und beobachte, wie
Leute über den Platz schlendern und entdecke viele bekannte Gesichter der
vergangenen Wochen. Hannelore erzählt mir Im Vorübergehen, dass sie Eckl, einen
sachsenanhaltinischen Landsmann von mir wiedergetroffen habe und wenig später
stellt sie ihn mir am Arm zerrend vor. „Eckehard Holstein aus Schlanstedt in der Nähe von Oschersleben. Kannst einfach Ecki zu Ihm sagen“.
Ecki grinst durch Bart und Brille und reicht
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