Paxson, Diana L.
verlassen zu haben. Doch nach einiger Zeit begann der große, leere Friede dieses Ortes seine Wirkung auch auf mich nicht zu verfehlen und brachte ein bißchen Stille in meine Seele.
Esseilte blieb in unserer Stube. Manchmal las sie, manchmal beschäftigte sie sich mit ihrer Stickerei, manchmal starrte sie blicklos in die Flamme der Öllampe.
Zur Tagundnachtgleiche wurde das Wetter noch schlechter, der Wind tobte, und ich sah mich gezwungen, in der Stube zu bleiben. Ich lag auf dem Bett, schaute müßig zu, wie Licht und Schatten einander über die grobbehauenen Deckenbalken verfolgten, und hörte, zwischen dem krachenden Branden der Wellen, wenn Esseilte eine Seite in ihrem Buch umblätterte. Ein verirrter Luftzug strich kalt an meinem Gesicht vorbei, da hustete sie.
»Macht dir die Brust immer noch zu schaffen?«
»Nicht wirklich, nur hin und wieder eine Beklemmung«, antwortete sie mit der gleichen tonlosen Stimme wie immer, wenn sie zu mir sprach. »Es ist nicht wichtig.«
Ich stemmte mich auf einen Ellbogen, um sie anzusehen. Sie lag in Pelze gehüllt, den Rücken gegen Kissen gestützt, auf ihrem Bett und trug über ihrem Gewand noch eine Mönchskutte aus ungebleichter Wolle. Trotzdem sah sie durchgefroren aus.
»Welche Art von Beklemmung? Macht sie dich schwindelig? Schmerzt sie?« Ungebeten blätterte mein Gedächtnis in den Seiten von Marienns Kräuterbuch, überflog ihre Rezepte und jene, die ich selbst hinzugefügt hatte.
»Warum sollte dich das interessieren? Mach nicht so ein Getue!«
»Esseilte!« Die Lederhalterung des Bettes knarrte, als ich mich aufsetzte. Ihr Blick war verschleiert. »Ich habe dir seit meiner Geburt gedient!«
»Wirklich?« Sie hob den Kopf, doch ihre Augen blieben unlesbar. »Das glaubte ich früher auch, doch jetzt frage ich mich…«
So rasch wie Feuer in trockenem Holz flammte mein Ärger auf. »Fragst du dich, wer deine Kleidung in Ordnung gehalten und all diese Jahre deinen Haushalt geführt hat? Fragst du dich, wer dich bei all deinen Krankheiten pflegte? Fragst du dich, wer sich darum kümmert, daß diese Stube immer geheizt und das Essen nach deinem Geschmack zubereitet wird?«
»Und wer tut das alles mit den Augen zum Himmel erhoben wie eine von Ruadans Märtyrerinnen und wartet, daß man ihr lobend über den Kopf streicht, ihr Anerkennung und Mitgefühl zollt? Wer heilt huldvoll Kranke, brabbelt von Visionen und tut, als sehe sie nicht, wie das einfache Volk sie anbetet? Sankt Branwen, die nicht gebührend Gewürdigte«, Esseiltes Stimme bebte, »aufgeblasen vor Stolz!«
»Stolz?« keuchte ich. »Welchen Stolz könnte ich haben, außer dem auf meiner Hände Arbeit? Du hast nie eine Arbeit begonnen, die du nicht nach Belieben abbrechen konntest! Alles fiel dir in den Schoß! Und ich muß mir alles selbst verdienen! Du wurdest zum Stolz auf Herkunft und Schönheit geboren, auf Seide und Gold, auf Ehrerbietung von allen. Ich wurde nur geboren, um in deinem Schatten zu stehen – kannst du es mir verdenken, wenn ich ein kleines bißchen Sonne suche?«
»Bis du dir eingebildet hast, daß du die Sonne bist!« rief sie. »Wer gab dir das Recht, Gott zu spielen, Branwen? Wer gab dir das Recht, unser Leben zu zerstören?«
Ein mächtiger Windstoß toste heulend vom Meer herbei und rüttelte das Haus. Meine Antwort fiel in die Stille, die ihm folgte.
»Du selbst…«
Esseilte starrte mich an.
»Auf dem Schiff hast du dich für den Trank entschieden, die Verantwortung jedoch hast du auf mich abgewälzt! Du hast beschlossen, daß Drustan den Diarmuid für deine Grainne spielt, doch die Mühe, die es kostete, es dir zu ermöglichen, fiel auf mich – die Lügen, der Trug, die schlaflosen Nächte des Wachens, während du und Drustan euch eurer Lust hingabt…« Ich holte am ganzen Leib zitternd Luft, doch Esseilte rührte sich nicht. Meine Schläfen fingen in Erinnerung an Schmerz zu pochen an.
»Und ich nahm es auf mich – nie kam mir der Gedanke, es nicht zu tun –, bis ich sah, wie dein Verhalten March zugrunde richtete. Wenn du mir die Schuld geben willst, daß ich ihn liebe, dann denk daran, Esseilte, daß auch das deine Entscheidung gewesen war! Und immer noch schützte ich dich, bis ich dich und Drustan lächelnd dasitzen sah, während Keihirdyn meinen Körper und meine Seele vergewaltigte!« Ich spürte die Galle in meinem Hals aufsteigen. »Und dann erkannte ich, daß all das auch meine Entscheidungen waren, und ich wollte nicht mehr…« Vorsichtig
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