Paxson, Diana L.
öffnete ich meine verkrampften Finger von den Schlaffellen.
»Du hast nicht einfach nur Schluß damit gesagt, Branwen!« Der Puls pochte in Esseiltes Hals. »Du hast versucht, uns zu vernichten. Ich habe nie eine Heilige gespielt, aber ich war zumindest immer die gleiche! Wie hätte ich wissen sollen, was du empfindest? Du hast dich ja nie beklagt!«
»Du hast nie danach gefragt!« rief ich heftig.
»Du warst immer mit deinem Rat zur Hand, hast mir immer alles abgenommen und in Ordnung gebracht, ehe ich lernen konnte, es selbst zu tun! Du hast dafür gesorgt, daß ich mich wie eine Idiotin fühlte oder wie ein Kind! Nur im Wald von Broceliande durfte ich je selbst etwas tun, und sogar dem hast du ein Ende gemacht!«
»Du warst krank!« Ich sprang auf und funkelte sie an.
»Was macht das schon aus?« Sie atmete vorsichtig. »Ich fürchte den Schmerz nicht, nicht einmal den Tod, wenn es einen Sinn für alles gibt! Der Morholt war dein Vater, aber du hast ihn nie verstanden, Branwen. Er starb zu früh, doch während er am Leben war, lebte er!«
»Ich hatte nie ein Leben, nur ein Abbild!«
»Und deshalb hast du mir meines gestohlen!« entgegnete sie. Ihre Augen flammten, aber sie hatte die Hand wieder auf die Brust gedrückt, und ich sah, wie schwer ihr das Atmen fiel.
Meine Finger hatten sich zu Klauen verkrampft. Es verlangte mich danach, ihr diese Miene aus dem Gesicht zu kratzen, die Erinnerung an die schmerzenden Worte auszulöschen, aber ich wußte, daß sie sterben würde, wenn ich sie berührte. Ich machte nur einen Schritt auf sie zu, dann wirbelte ich herum und warf mich durch die Tür in den Sturm.
Der Wind prallte gegen mich, als ich die geschützte Hausseite verließ. Ich stolperte auf den Stufen, dann kämpfte ich mich den Pfad entlang hoch. Die See tobte, als bekriegten sich Armeen grauer Berge. Ich plagte mich weiter, stemmte mich gegen den nassen Wind und ließ mich am Klippenrand auf die Knie fallen, als ich mich nicht mehr aufrecht halten konnte.
Nur ein kleines Stück weiter und ich würde hinunterfallen. Der Schlamm und glitschige Stein der Klippe würden meinen Sturz beschleunigen. Würde ich das Toben des Wassers überhaupt bemerken, wenn es mich tötete? Das Chaos rundum erschien mir geringer als die rasende Wut in mir. Ich kauerte eine Weile, bar aller Gedanken, und war eins mit dem Zorn des Himmels und der See.
Endlich ließ es nach. Der Wind peitschte mir nicht mehr ins Gesicht, es gab sogar Augenblicke, da er völlig abflaute; und zwischen den Schwingen des Sturmes spitzte bleiches Licht hervor. Ich atmete tief und vermochte wieder klar zu denken.
Ich war bestürzt über die Vielzahl und Tiefe der Wunden, die Esseilte und ich uns im Lauf der Jahre geschlagen hatten. Aber wir hatten uns doch auch geliebt, oder? Alles, was ich gesagt hatte, stimmte, aber ich begann nun vage einzusehen, daß auch Esseilte die Wahrheit gesagt hatte. All diese Jahre waren wir uns so eng verbunden gewesen wie ein Mensch und sein Schatten. Ich kannte ihren Körper besser als meinen. Und doch wurde mir nun klar, daß wir einander gar nicht wirklich gekannt hatten.
Fröstelnd richtete ich mich auf und stolperte den Pfad wieder hinunter.
Esseilte schlief scheinbar, als ich eintrat. Ihre Wangen waren von glitzernden Tränenspuren gezeichnet. Aber als ich die Tür hinter mir schloß, öffnete sie die Augen und seufzte.
»Dem Himmel sei Dank! Ich hatte schon Angst, der Wind hätte dich weggeblasen!«
»Nein…« Ich schlüpfte aus meinen nassen Sachen. Der Sturm war vorüber, aber wie sollte es weitergehen?
»Du – du hast gesagt, Keihirdyn habe dich entehrt. Wie hast du das gemeint?«
Ich blickte sie zweifelnd an, suchte nach Anzeichen von Feindseligkeit, aber ihre Stirn war gerunzelt, als wolle sie es wirklich wissen. So setzte ich mich aufs Bett und erzählte es ihr.
»Da war keine Liebe, Esseilte, keine Ehre. Es war schmutziger als alles, was Meriadek über dich und Drustan behauptete. Und Drustan hatte Keihirdyn überredet, nach Kernow zu kommen, indem er ihm versprach, daß er mit mir schlafen könnte…«
Esseilte war kreidebleich geworden, und nun flutete tiefe Röte in ihr Gesicht.
»Das wußte ich nicht! Ich kann auch nicht glauben, daß Drustan so etwas getan hat – er kann mich nicht lieben, wie er es tut, und so etwas von einem anderen denken!«
Ich zuckte die Schultern und zog mir ein Linnenhemd über den Kopf. »Vielleicht nicht«, sagte ich ruhig. »Vielleicht war er aber auch nur
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