Paxson, Diana L.
so sehr von seiner Liebe zu dir erfüllt, daß er sich gar keine Gedanken darüber machte. Ich weiß es nicht. Ich war nicht bei klarem Verstand.«
»Oh, ich verstehe Besessenheit.« Sie verzog die Lippen. »Schließlich habe ich Drustan verflucht. Wenn das Böse nicht deine Schuld war, war es vielleicht meine…«
Sie hielt inne. Ich band den Gürtel um mein Gewand, und erst als ich hochblickte, sah ich ihre verschleierten Augen und die vor Schmerz zusammengepreßten Lippen.
»Große Göttin!« hauchte ich. Ich rannte durch die Stube, kniete mich neben ihr Bett und griff nach ihrer linken Hand.
»Nein – das ist die, die weh tut«, wisperte sie. Nach einem Moment holte sie tief Atem und blickte mich an. »Schon vorbei. Es ist, als drücke eine Hand auf meine Brust. Es dauert nie sehr lange.«
Aber wie oft kam es, fragte ich mich. Und wie groß war der Schmerz, solange er anhielt? Und was war, wenn die Hand eines Tages zu fest zudrücken würde? Zurückgehaltene Tränen brannten in meinen Augen, als ich ihre Hand küßte.
»Esseilte, Schwester, bitte, laß mich nicht allein…«
***
Das Wetter wurde besser, doch ich fand keine innere Ruhe. Auch machte ich mir Sorgen um Esseilte, deren Zustand sich nicht gebessert hatte, als der Monat zu Ende ging. Ich dachte, vielleicht würde ihr eine Fingerhuttinktur helfen, doch ich hatte keine unter meinen Heilmitteln. Da erinnerte ich mich an ein Kräuterbündel über einem flackernden Torffeuer.
Ogrins Einsiedelei…
Ich sagte den Mönchen, wohin ich wollte, und bat sie, sich Esseiltes anzunehmen. Es waren gute Männer, die menschlichen Schwächen gegenüber verständnisvoll waren und nicht zu jener Art gehörten, die eine Frau nicht einmal anblickten, aus Angst, befleckt zu werden. Doch keiner sah die Dinge so klar wie Ogrin.
So füllte ich Körbe mit Dörräpfeln und Getreidekörnern, gab einen Behälter Salz dazu, packte verschiedene meiner Kräuter für ihn ein, und ritt südwärts zu den Mooren. Tief atmete ich die zu herbstlicher Klarheit gewaschene Luft ein und lenkte das Pferd um die Lachen herum, die der Regen zurückgelassen hatte. Das Wasser war braun, doch glänzte es hell wie die Flügel von Eisvögeln, wenn es den Morgenhimmel widerspiegelte. Ich sagte mir, daß ich Ogrin besuchte, um mir Rat zu holen und ein bißchen Fingerhut, falls er welchen gesammelt hatte.
Doch tief im Innern wußte ich es besser. Er hatte einmal meinen Körper geheilt. Jetzt brauchte ich Heilung für meine Seele.
Vier Tage ritt ich dahin, bis ich endlich den Felsen aus der bräunlichen Weite des Moores ragen sah. Einen Augenblick erfaßte mich Angst. Ich hatte es als völlig selbstverständlich erachtet, daß Ogrin, wie das Elbenvolk, da zu finden sein würde, wo ich ihn verlassen hatte. Aber Ogrin war ein Mensch wie ich, und ich wußte durchaus, wie sehr ich mich verändert hatte. Was wäre, wenn er inzwischen gestorben oder anderswo hingezogen war? Doch da, wie ein Zeichen, begann ein dünnes Weiß sich dem Himmel entgegen zu kräuseln. Noch ehe ich Einzelheiten des hellen Etwas auf dem Felsen sehen konnte, wußte ich, wer dort wartete.
Das Pferd hielt am Fuß des Felsens an, und nachdem ein paar Augenblicke vergangen waren, zerrte es mir die Zügel aus der Hand und fing an, das trockene Gras zu kauen. Ogrin stieg, sich auf seinen Stock stützend, den Pfad zu mir herunter. Ich fand seinen Kopf noch ein bißchen kahler und sein Gewand noch ein wenig zerschlissener, doch ansonsten schien er wie früher zu sein.
»Branwen…« Er streckte mir beide Hände entgegen, und ich glitt vom Pferd hinunter. Den ganzen Weg war ich immer wieder durchgegangen, was ich ihm zu sagen gedachte, doch als er mich anlächelte, brachte ich kein Wort heraus, und als seine kräftigen Hände sich um meine legten, brach ich von Schluchzen geschüttelt vor ihm in die Knie.
»Ich spürte dein Kommen und deine Bedrängnis…«, sagte Ogrin, als ich mich soweit gefangen hatte, daß ich ihm helfen konnte, die Stute in dem Unterschlupf am Fuß des Felsens unterzubringen und die Körbe den Pfad zur Einsiedelei hochzutragen. »Erzähle…«
Ich hielt den Blick auf die glühenden Kohlen gerichtet. »Ich wurde verraten, und ich habe meinerseits alle verraten, die ich liebte…« Ich entsann mich, was Esseilte zu mir gesagt hatte. »Ich dachte, ich wäre gut, und ich tat Böses! Und nun habe ich Angst, daß jene, die ich liebe, sterben werden und niemand mich je wieder brauchen wird!« Und das war mehr
Weitere Kostenlose Bücher