Payback
verbreiten und empfangen, sie können mittlerweile zuhören und vorlesen, übersetzen, Gesichter, Gebärden, Pupillen, und, wie wir noch sehen werden, Gedanken lesen. Auch ihre ökonomischen Eigenschaften sind einzigartig. Sie reduzieren die Kosten für alle anderen Medien auf ein absolutes Minimum, nicht nur für Schrift und Sprache, auch für Radio, Funk und Fernsehen. Damit schaffen sie überhaupt erst die Voraussetzung, dass man mit ihnen nicht nur konsumieren, sondern sich in ihnen auch ausdrücken will. Kein Mensch hätte sich vor zehn Jahren ein eigenes Fernsehstudio leisten können, um zum Beispiel die neuesten Kunststücke seines Dackels zu präsentieren, wie es heute tausendfach geschieht.
Doch indem wir uns in und mit ihnen ausdrücken, treten wir, wie geschickt die Softwareingenieure dies auch verbergen wollen, fast immer, wenn wir glauben, mit Menschen zu kommunizieren, in Wahrheit in Wettbewerb mit den Maschinen. Niemals zuvor wären wir auf den Gedanken gekommen, mit einem Fernsehgerät in Wettbewerb um Intelligenz zu treten, niemals hätte es uns Instruktionen gegeben und Befehle ausgeführt, niemals hätten Filme oder Fernseher ohne Zutun des Menschen miteinander kommuniziert, um zu Ergebnissen zu kommen, deren Zustandekommen der Mensch nicht mehr verstehen kann, die er aber für sein Weiterbestehen benötigt. Das alles aber tun Softwareprogramme.
Kein Radio, kein Telegraf hätte mit uns kooperiert, und von keiner dieser Technologien hätte man behaupten können, dass sie wesentliche Vorgänge des menschlichen Denkens imitieren und perfektionieren. Und natürlich hat es auch niemals einen komplexen Verkehr in beiden Richtungen, vom Menschen zur Maschine und umgekehrt, gegeben. Wir sitzen uns gegenüber und gehen ineinander auf.
Eine amerikanische Anzeige für ein Gesundheits-Netzwerk wirbt für ihre Software mit der Schlagzeile: »
Medizin, die nicht vergisst
.« Sie zeigt einen Landarzt mit einer schwarzen Arzttasche und den Slogan: »Wissen Sie noch, wie es war, als Ärzte alles über ihre Patienten wussten, und alles, was sie brauchten, in ihrer kleinen schwarzen Tasche trugen? Die elektronische Akte ist die kleine schwarze Tasche des modernen Arztes.«
Das »New England Journal of Medicine« bemerkt dazu: »Der Versuch, diese Art der Technologie mit der nostalgischen Erinnerung an den Arzt zu verbinden, der sich viel Zeit für Gespräche nahm, ist ziemlich unpassend. In Wahrheit unterscheidet sich dieses humanistische Abbild extrem von der Wahrnehmung vieler Patienten, die während eines fünfzehnminütigen Arztbesuchs den Doktor auf einen Bildschirm starren sehen. Das ist womöglich der beunruhigendste Effekt der Technologie: Sie verändert Aufmerksamkeit und zieht sie vom Patienten ab. Eine unserer Patientinnen nennt ihren Arzt nur noch ›Doktor Computer‹. ›Er schaut mich nie an‹, sagt sie, ›nur auf den Bildschirm.‹« 33 Das ist, auf höherer Ebene, das, was Christina Huffington erlebte, als ihre Mutter ihr zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Aufmerksamkeit den Blackberry schenkte.
Fassen wir zusammen: Auch die Ärzte haben kein Mittel gegen kognitive Störungen. Auch bei ihnen haben die Verdrahtungen zu glühen begonnen. Sie sind nicht verantwortungslos, sondern selbst ein Musterbeispiel für Informationsüberflutung. Sie zählen zu jener Berufsgruppe, die in der Informationsflut fast ertrinkt und »auch noch die Wasserhähne aufdreht«. 34
Und was raten uns die Neurowissenschaftler, deren Disziplin kaum zufällig in dem Maße an Bedeutung gewonnen hat, wie die kognitiven Störungen des Einzelnen zunahmen?
»Legen Sie ein Nickerchen ein«, »Tempo drosseln«, »Zeitlimits setzen«, »auf ein Abschweifen der Gedanken achten«, »bewusst bei der Sache bleiben«, »eventuell ärztliche Hilfe aufsuchen« und am Ende: »Schalten Sie die Geräte ab«. 35
Sehr hilfreich sind diese Rezepte bisher nicht, denn mittlerweile sind fast alle von uns auf Computer und ihre Zugänge zur Welt angewiesen. Vom Rechnen bis zum Korrigieren, von der Fähigkeit, Stadtpläne zu lesen bis zum Auswendiglernen von Telefonnummern - die Computer nehmen uns so viel ab, dass wir im Laufe der Zeit in unseren Gehirnen die entsprechenden Abteilungen verkleinert, geschlossen und die Nervenzellen in Vorruhestand geschickt haben.
Wir
können
gar nicht mehr so einfach aussteigen, das Tempo drosseln, ein Nickerchen einlegen. Wenn wir aufwachen, beginnt alles wieder von vorn. Wir bleiben Käfer. Vor allem
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