Payback
Stellen, wo die Redner ihre intellektuelle Kapitulation erklären wollen. Der Chef des Telekommunikationsriesen Cisco erklärte bündig: »Man könnte sagen, es geriet außer Kontrolle. In jedem Fall hatte niemand mehr die Kontrolle«. 46
Es droht genau dies zum Lebensgefühl des heutigen Alltags zu werden: Der Kontrollverlust über Informationen. Die kritische Grenze, die das Verhältnis der Menschen zu den Rechnern erreicht hat, ist in vielen Büchern der letzten fünf Jahre breit dokumentiert. Man kann das wunderbar nachlesen in Miriam Meckels »Glück der Unerreichbarkeit«, das eindrückliche Buch einer Medienwissenschaftlerin über Medien, das in Wahrheit ihre Medienmüdigkeit und ihren Selbstheilungsprozess beschreibt.
Der englische Schriftsteller Nicholas Carr hat in seinem Essay »Macht Google uns dumm?« als Erster den Mut gehabt, auszusprechen, dass er glaube, durch die modernen Technologien dümmer zu werden. Er schrieb: »Während der letzten Jahre hatte ich das unangenehme Gefühl, dass irgendwas oder irgendjemand mit meinem Hirn spielt, die neuronale Architektur um baut, meine Erinnerung umprogrammiert. Ich denke nicht mehr, wie ich zu denken gewohnt bin.« 47
Die Architekten des Internets antworteten ihm damals auf ihre Weise. »Es ist ein Problem Ihres Willens«, entgegnete ihm beispielsweise Larry Sanger, der Mitbegründer von Wikipedia, »ein Denkversagen. Wenn das Ihr Problem ist, sollten Sie niemand dafür verantwortlich machen als sich selbst.« 48
Es stimmt: Die generelle Behauptung, Internetkonsum oder gar Google verdumme den Menschen, ist hoffnungslos unproduktiv und macht das Netz zu einer Art Fernseher mit Tastatur. Wer sich einmal nach den Gründen der allgemeinen Zerstreutheit umhört, findet selbst unter den Informations-Gurus viele, die ihre Überforderung eingestehen, und unter den Informa-tions-Kritikern keinen Einzigen, der die neuen Technologien infrage stellen würde. »Es stimmt«, sagt Danny Hillis, »irgendetwas macht uns dümmer, aber es ist nicht Google. Man muss sich Google als Rettungsring vorstellen, den uns jemand zugeworfen hat in der steigenden Flut. Stimmt, wir benutzen ihn, um oben zu bleiben. Aber nicht, weil wir faul sind, sondern weil wir überleben wollen.« 49
Als der Neurologe Gary Small, der sich als Hirndoktor für die elektronische i-Generation sieht, eine Untersuchung veröffentlichte, die zu beweisen schien, dass uns googeln sogar klüger macht, weil so mehr Hirnregionen als beim einfachen Lesen aktiviert werden, war der Spott groß, mit dem einige Cyber-Propheten Nicholas Carr überschütteten. 50 Allerdings geben Smalls Resultate nicht das her, als was er sie verkaufen will. Sie bestätigen lediglich,
dass
der Computer wie das Videospiel in der Lage sind, das Hirn umzuprogrammieren und dass zusätzliche Hirnregionen aktiviert werden. Vermutlich erklären sie sogar, ganz gegen das Interesse ihres Verfassers, warum wir im Netz unkonzentrierter sind als beim Lesen eines Buches. Doch selbst im günstigsten Fall ist mit Blick auf die reine Hirnaktivität googeln intellektuell ungefähr so anspruchsvoll wie das Lösen eines Kreuzworträtsels. »Doch ist das Lösen von Rätseln«, fragten denn auch konsequent die klugen Autoren des »freakonomics«-Blogs, »die gleiche Art von Klugheit, die durch das Lesen eines Buches entsteht?« 51
Man muss fair sein, um nicht in den Verdacht des Techno-Pessimisten zu geraten. Der kognitive Veränderungsdruck, den das Internet-Zeitalter auf die Menschheit ausübt, ist gewaltig und wird am Ende nur vergleichbar sein mit einer ganzen Kaskade einstürzender Weltbilder, gerade so, als erschienen in kurzen Abständen gleichzeitig Gutenberg plus Marx plus Darwin auf der Bildfläche. Es ist also nicht falsch, sich jetzt schon warm anzuziehen.
Allerdings wäre dieser Wandel nur eine kalte, ewige Sonnenfinsternis, wenn nicht die Vorteile so klar auf der Hand liegen würden. Gerade die Babyboomer-Generationen - zu denen Carr (und auch ich) gehören, also die heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen, die im Zeitalter des rein passiven Medienkonsums groß geworden sind - haben Medien und Gesellschaft oft als autoritäre Ein-Weg-Systeme kennengelernt, in denen einer redet und alle zuhören.
Der Literaturkritiker William Deresiewicz, alles andere als ein Technik-Freak, beklagt zwar das Ende der romantischen Einsamkeit durch die neuen Technologien, weist aber zu Recht auf die soziale Wandlung hin, die mit dem Aufkommen des Fernsehens
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