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Payback

Titel: Payback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Bewusstsein pflanzen, die uns für ein paar befreiende Momente isolieren. In Wahrheit geht es darum, dass die Maschinen uns bereits überwältigt haben.
    Es geht nicht darum, das großartige Instrument loszuwerden, das uns die Technologie in Gestalt der Kommunikationsmittel geschenkt hat. Sondern eher darum, herauszufinden, was die Überwältigung für das Geschenk bedeuten würde, das uns die Natur gegeben hat: Geist und Gehirn, die bisher auf solche Herausforderungen durch Lernen reagiert haben.
    Für viele Menschen heute ist es kein Problem, ein Blog zu installieren, ein Textverarbeitungsprogramm zu bedienen oder auf dem Handy zu twittern. Es fällt uns sehr leicht, weil es eben sehr leicht ist, den Anweisungen der Maschine zu folgen; sie scheinen auf perfekte Weise dem menschlichen Geist angepasst. Es fällt aber vielen von uns sehr schwer, uns daran zu erinnern, was wir vor zwanzig Minuten an diesem Computer getan haben.
    Noch schwerer ist es, sich einzugestehen, dass man allein in der letzten Stunde Dinge nur deshalb gemacht hat, weil der Computer sie empfohlen hat.
    Viele Daten sprechen dafür, dass dieses Phänomen längst nicht mehr auf den Arbeitsplatz beschränkt ist, sondern zu einem Lebensgefühl geworden ist. Wir werden später sehen, dass diese Erinnerungslücke, die in Wahrheit ein Kontrollverlust ist, den Programmierern längst bewusst ist. Mehr noch: dass sich bereits neue Seelen-Informatiker darauf gestürzt haben mit dem Ziel, uns glauben zu lassen, wir könnten uns an Dinge erinnern, die wir nie erlebt haben. Die Manipulation von Vergangenheit entspricht dem immer größer werdenden Zwang zu absoluter Gleichzeitigkeit. Dahinter versteckt sich unter dem animierenden Titel »Multitasking« eine ernste Deformation, gewissermaßen die Staublunge des digitalen Zeitalters.

MULTITASKING IST KÖRPERVERLETZUNG
    lle sind sich einig: Die größte Tugend der Informationsgesellschaft heißt Multitasking. Sie wird von Müttern, Managern, Arbeitern, Akademikern, Schulkindern, Eltern, Großeltern verlangt, und sie ist die nachweislich erste Verhaltensweise, die uns die Computer aufzwangen, nachdem sie selbst gelernt hatten, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen. Die Funktionsweise der Prozessoren wird zur Lebensweise, die unser Hirn und mittlerweile die wirkliche Welt in großem Umfang prägt: Familie managen, Rasen mähen, Einkauf organisieren, E-Mails abrufen, freundlich bleiben - nur beim Autofahren ist Multitasking gesetzlich verboten. Es hat einen ganzen Kult des modernen Menschen ausgelöst und übt einen enormen sozialen Druck aus.
    Alles spricht dafür, dass Multitasking Körperverletzung ist.
    Die Ideologie des Multitasking, eine Art digitaler Taylorismus mit sadistischer Antriebsstruktur, hat deshalb so weitreichende Wirkungen in die wirkliche Welt, weil sie voraussetzt, dass Menschen jederzeit mehrere Dinge gleichzeitig machen können. Sie ist damit das ideale Gefäß für eine Gesellschaft, in der die Gleichzeitigkeit von Informationen zur Norm und zum Arbeitsplatzprofil wird. Mehrere Dinge gleichzeitig zu tun heißt nichts anderes, als ständig abgelenkt zu werden und die Ablenkung wieder unter Kontrolle bringen zu müssen.
    Die Menschen verlieren buchstäblich all das, was sie von den Computern unterscheidet - Kreativität, Flexibilität und Spontaneität -, und sind gleichzeitig immer mehr gezwungen, im Privatleben oder am Arbeitsplatz nach den Vorgaben der Rechner zu funktionieren. Die verheerenden Konsequenzen dieser Ideologie erkennt man besser, wenn man statt auf die Hightech-Arbeitsplätze auf die Arbeitswelten schaut, in denen die wirkliche private Armut des Einzelnen mit der Notwendigkeit, an einem industriellen Arbeitsplatz Geld zu verdienen, in Konflikt gerät, sei es an der Supermarktkasse oder in der Werks-halle.
    Genau das hat Sendhil Mullainathan getan, ein junger Verhaltensökonom, den der amerikanische Präsident Barack Obama als Berater ins Weiße Haus geholt hat. Seine Erkenntnisse belegen, dass das Leiden unter Multitasking kein Luxusproblem ist, sondern an existenziellen Fragen der Lebensvorsorge rührt, in reichen wie in armen Ländern. Mullainathan fiel auf, dass in Statistiken immer wieder behauptet wurde, arme oder schlecht bezahlte Arbeitnehmer würden weniger arbeiten als andere. Die gängigen Theorien überzeugten ihn nicht und er fand eine andere Antwort: Der Zwang, seine Aufmerksamkeit ständig anderen Problemen zu widmen, erzeugt eine ökonomische Spirale des

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