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multitasken können, dann verbringen sie einfach weniger Zeit mit allem, Schuldgefühle und Versagensängste inklusive. 59
Multitasking ist der zum Scheitern verurteilte Versuch des Menschen, selbst zum Computer zu werden.
Die Zunahme der permanenten Ablenkungen führt immer mehr zu einer grundlegenden Unterhöhlung der geistigen Kontrolle, die wir über unsere Welt zu haben glauben, und zwar nicht aus philosophischen, sondern aus fast medizinischen Gründen: Weil im Gehirn sowohl Gedächtnis- wie Aufmerksamkeitsregion betroffen sind - mit Folgen nicht nur fürs Lernen, sondern auch für die Manipulationsanfälligkeit und Verführung von Menschen.
»Viele Menschen«, so lautet die Prognose von Clifford Nass, »werden immer unfähiger werden, mit der sich verändernden medialen Welt zurechtzukommen. Klarheit darüber, was Ursache und Wirkung sind, ist entscheidend für unser Verständnis von Denken im 21. Jahrhundert.« 60
Was ist gespeichert und wo ist es gespeichert: In den Maschinen oder im Kopf?
Ein Denken, das ständig seine eigenen Defizite spürt, sucht Halt. Es verlässt gewissermaßen den Kopf und wird in immer größerem Umfang an die Maschinen abgegeben. Dadurch wird es angreifbar. Und es gerät in heillose Konfusion. Und wird manipulierbar, denn es spielt sich auf Plattformen eines Mitspielers ab, der in den Worten Amperes »mit unbegrenzten Chancen« ausgestattet ist.
Das Denken wandert nach außen.
DIE COMPUTER LERNEN UNS KENNEN
eute nehmen uns Computer nicht nur Entscheidungen ab, sie formulieren auch auf Antworten, die wir irgendwann, irgendwo im Datenuniversum gegeben haben, neue Fragen.
Irgendwann haben Sie vielleicht irgendwo an irgendwen geschrieben, dass Sie die Farbe Rot mögen, und woanders, dass Sie unter der Großstadt leiden. In einer E-Mail, die Sie verfassten, erzählten Sie vielleicht von Ihrem Garten, und dann haben Sie sich auch einmal eine Datei über Hybridantriebe heruntergeladen.
Und aus all diesen Antworten kann der Computer eine neue Frage formulieren. Zum Beispiel, weil er weiß, dass die Mehrheit der Menschen, die einen Garten haben und Rot lieben, auch Tulpen lieben. Und wenn Sie dann auch noch umweltbewusst sind, wofür Ihr Garten und Ihr Interesse für den Hybridantrieb spricht, lehnen Sie höchstwahrscheinlich auch Fernreisen ab. 61 Also fragt der Computer Sie vielleicht schon bei der nächstbesten Gelegenheit, ob Sie nicht Urlaub auf einem ökologischen Bauernhof in Holland machen wollen.
Jeder erlebt das. Ständig macht uns der Computer Vorschläge. Und den wenigsten fällt auf, dass sich hier bereits die ersten Verlagerungen des Denkens abspielen. Die Rechner stellen Zusammenhänge her, auf die wir selbst noch gar nicht gekommen sind, die sich aber aus den Inhalten unserer E-Mails, Suchanfra-gen, Blog- oder Facebookeinträge und vermutlich bald auch unserer SMS ergeben. Der Informatiker Daniel Hillis antwortet auf die Frage, welchen Preis wir denn nun eigentlich für diese Verlagerung und Ausbeutung unserer Aufmerksamkeit zahlen müssen: »Computer brauchen den Menschen gar nicht zu manipulieren. Sie können die Ideen selbst manipulieren… Auf längere Sicht wird das Internet eine so reiche Infrastruktur aufweisen, dass Ideen sich außerhalb des menschlichen Kopfes entwickeln.« 62
Da die Informationsfülle so gewaltig ist und täglich gewaltiger wird, werden bald nicht nur Suchroboter, sondern eine ganze Armada von Hilfsprogrammen für uns das übernehmen, was bisher unsere neuronalen Netze im Hirn geleistet haben.
Deshalb spricht vieles dafür, dass unsere Aufmerksamkeit und unsere Assoziationskraft in absehbarer Zeit immer häufiger in eine Art Leerlauf versetzt werden. Es ist wie bei der Selffulfilling Prophecy: Wenn der Kopf immer überforderter und unselbstständiger wird, ist es doch geradezu segensreich, wenn der Online-Buchhändler ein Buch empfiehlt.
Erst waren es nur Taschenrechner, die uns das Kopfrechnen abnahmen.Von der ersten Sekunde ihrer Existenz an waren die Computer beim Rechnen unendlich viel schneller als der Mensch. Keiner von uns trauert wohl dem Kopfrechnen nach. Allerdings beginnen in der Mathematik, dort wo die Revolution mit dem Taschenrechner einst begann, sich jetzt auch die ersten Folgen dieser Auslagerung des Denkens zu zeigen. Zwar können im Bereich der angewandten Mathematik die Mathematiker bei besonderen Beweisführungen noch feststellen, ob die Ergebnisse stimmen oder nicht, aber sie können nicht mehr verstehen, warum
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