Payback
in die Informationsgrafik des Computersystems hatte zur Verfälschung geführt. 70
Dennoch werden im späteren Columbia-Untersuchungsbericht Tuftes Erkenntnisse besonders hervorgehoben und die NASA aufgefordert, für wichtige Dokumentationen keine Powerpoint-Präsentationen mehr zuzulassen. 71
Wieso ist diese Geschichte hier wichtig? Nicht, weil man nun sämtliche Powerpoint-Illustrationen abschaffen sollte - obgleich ein zweiter Blick bei den fast hypnotisch wirkenden Aktien- und Lebensversicherungsgrafiken nicht schaden könnte -, sondern weil sie zeigt, dass es dann und wann wichtig ist, Geschichten zu
erzählen,
statt alles in den Betriebszustand der Information umzuwandeln.
Hier handelte es sich nur um ein Beispiel eines neuen kognitiven Stils, einer neuen Art zu denken und Informationen zu transportieren - und dazu noch eines der offensichtlichsten Beispiele. Mit annähernd 600 Millionen Kopien weltweit ist Powerpoint unser Hauptwerkzeug für die Darstellung der Welt. »Unsere Werkzeuge«, schreibt die amerikanische Publizistin Maggie Jackson, »spiegeln die Werte unserer Zeit, und es ist deshalb kein Zufall, dass Powerpoint das Werkzeug unserer Wahl in einer Welt der Schnipsel und Sound-Bites ist.« 72
Aber es ist selbst nur ein Symbol für Systeme, die unsere Intelligenz überfordern.
WIR WOLLEN SEIN WIE SIE
ch glaube, dass uns die Science-Fiction-Autoren auf die falsche Zukunft vorbereitet haben. Ihre Fantasie kreiste um die intelligenten Maschinen, die Frage, ob sie eines Tages klüger sein werden als der Mensch: Und ob sie schließlich die Menschen zu Untertanen machen. Und damit das Kräfteverhältnis umkehren.
Die Frage, die sich heute tatsächlich stellt, ist aber eine ganz andere. Die Frage lautet, ob wir damit begonnen haben,
uns selbst
wie Maschinen zu behandeln. Und ob der Preis für Maschinen, die denken können, von Menschen gezahlt wird, die es mehr und mehr verlernen.
Irving J. Good, der mit Alan Turing zusammen an den ersten Computern baute, hat in den sechziger Jahren die superintelligente Maschine mit den Worten definiert, dass es eine Maschine sein werde, »die glaubt, dass Menschen nicht denken können«. 73
Vielleicht glauben die Maschinen das bereits. Ganz sicher aber tun wir es. Am eindeutigsten kann man das an unserer Sprache erkennen.
Wenn wir Menschen heute erläutern wollen, was eigentlich los ist mit uns und wo wir stehen im Leben, an diesem Tag und auch immer wieder zwischen all den modernen Technologien und unablässigen Informationstornados, beschreiben wir uns immer häufiger selbst wie Computer.
Wir sagen einander »unsere Daten«, gestehen uns unsere Fehlfunktionen ein, sprechen davon, dass wir gerade einen Absturz, einen Systemausfall oder keinen Saft mehr hätten, dass wir etwas nicht gespeichert oder gerade nicht auf dem Schirm hätten, dass letzte Nacht Teile unserer Festplatte gelöscht wurden, dass wir uns wieder auf Betriebstemperatur bringen, dass wir dringend mal wieder unsere Batterie aufladen müssten, kurzum: Wenn wir erschöpft sind oder an etwas scheitern, beschreiben wir uns wie leistungsschwache Rechner, bei denen alles in Zeitlupe läuft. Bis schlimmstenfalls der geistige Bildschirm ganz schwarz wird.
Aber das Ganze geht natürlich tiefer als Semantik. Die Menschen beginnen nämlich auch, ihre Leistungen, ihre Gefühle, ihre ganze Lebensbahn immer stärker wie Informationen abzurufen. Und wenn sie es selbst noch nicht tun, werden es ihre Arbeitgeber tun. So entsteht nicht nur ein Raum, in dem alles Zufällige kalkulierbar wird, sondern es entsteht auch eine ganz eigene Lebensdynamik, die das, was man bisher nur aus der industriellen Arbeitswelt kannte (und worunter man litt), in die Welt des Privaten katapultiert: Dinge geschehen nur noch,
weil
sie kalkulierbar und verwertbar sind. Bereits jetzt genügt ein Blick auf Youtube, um zu begreifen, dass Erfahrungen zunehmend nur gemacht werden, damit man sie digital verarbeiten und verwerten kann. In einer einzigen Minute werden - Stand 2009 - 20 Stunden Videomaterial allein auf Youtube hochgeladen, pro Woche 850 000 Filme in Spielfilmlänge. 74 Den wachsenden Anteil nehmen skurrile Aufnahmen des privaten Lebens ein, viele davon kleine Kunstwerke in sich selbst. Schon aus den heutigen Zahlen folgt, dass das gefilmte Leben das gelebte Leben bei Weitem übertrifft. Der Schriftsteller Jorge Louis Borges hat in einem schönen Bild einmal von der präzisesten Landkarte der Welt erzählt, die so detailliert
Weitere Kostenlose Bücher