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Payback

Titel: Payback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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und wissen nicht, und je mehr wir uns zusammenreißen, desto stärker wird der unterdrückte Gedanke. Wir wissen, dass eine Nachricht konsumiert werden will. Aber wir wissen nicht, was sie bedeutet. Das Informations-netz mit seiner faszinierenden Freiheit erzwingt in entscheidenden Momenten Selbstkontrolle selbst in winzigsten Details und tut doch alles, um sie zu unterminieren.

DIE WISSENSCHAFT VON DER FATIGUE UND BURNOUT-ERSCHÖPFUNG
    e stärker der weiße Bär, desto schwächer werden wir, und noch
ehe
wir kapitulieren, tun wir, was wir nicht tun sollten: denn wir denken ja bereits dauernd an ihn. Jeder merkt das, wenn er die fünfte Kaffeemaschine gekauft hat, die er nicht braucht. Bei der Informationsaufnahme merken wir das nicht. Informationen stehen nicht irgendwo im Zimmer herum wie ein überflüssiges Gerät. Sie bevölkern den Kopf in Erinnerungsregionen, die unterhalb der vier Dinge liegen, die unser Kurzzeitgedächtnis speichern kann. In Ihrer Wohnung merken Sie immerhin noch, was nützlich ist und was nicht - zumindest merkt man, ob man es benutzt oder ob es verstaubt.
    Doch die Ich-Erschöpfung durch ständige aufmerksamkeitsheischende Informationen führt dazu, dass wir nachweislich nicht mehr in der Lage sind, diese Informationen in einen logischen Zusammenhang zu überführen. Wir können sie nicht mehr in etwas anderes übersetzen als das, was sie sind. Wir wissen nicht, ob wir sie noch einmal gebrauchen können, selbst dann, wenn sie und ihre Absender längst das Haltbarkeitsdatum überschritten haben.
    Stellen Sie sich einfach die Wohnung eines jener Messies vor, die Tine Wittler in ihrer Hardcore Renovierungsshow im Fernsehen präsentiert. Diese Leute wissen nicht mehr, was sie behalten und was sie wegwerfen sollen. Das ist in etwa so, wie es in unserem Kopf aussieht - inklusive der Tatsache, dass (fast jeder) weiß, wer Tine Wittler ist.
    Trash-Formate im Fernsehen und im Internet erfreuen sich mittlerweile in allen Bildungsschichten wachsender Beliebtheit, und ehe man zu Recht auf ihr Verdummungspotenzial hinweist, ist es hilfreich, die Gründe für dieses Phänomen zu studieren. Wenn Menschen das Gefühl haben, sich kontrollieren zu müssen, beispielsweise sich dagegen zu wappnen, schon wieder eine Online-Seite aufzurufen, wenn sie den Ablenkungen widerstehen und im dauernden täglichen Kampf mit Multitasking-Zumutungen mal siegen und mal verlieren - nicht nur am Computer, sondern auch in der Familie, im Haushalt usw. -, wenn sie also im Großen und Ganzen durchhalten statt nachzugeben, erschöpft sich ihr Ich wie der Beinmuskel bei Kniebeugen.
    Menschen schauen dann nicht nur, wie eine neuere Studie zeigt, abends Trash-Filme statt anspruchsvollerer Filme. Sie können sich offenbar auch nicht vorstellen, überhaupt jemals wieder zu etwas anderem als Trash fähig zu sein. Würde man sie am Montag bitten, einen Film für den Mittwoch auszusuchen, sind sie nicht imstande, ihre vorauseilende Erschöpfung zu relativieren. 129 Der Mensch rechnet offenbar seine Ich-Erschöpfung hoch. Er macht immer weniger Pläne und reagiert immer häufiger auf unmittelbare Reize. Die offene Frage ist, wann davon nicht nur der Film für die nächste Woche, sondern die Lebenspläne selbst betroffen sind.
    Die scheinbare Kostenlosigkeit der Informationen im Netz beeinflusst auch die Ökonomie unseres Denkens. Wir springen darauf schnell, als könne es uns jemand wegnehmen oder zuvorkommen. Ein Versuch, in denen Menschen schlechtere Hershey-Trüffel für 1 Cent und bessere Lindt-Trüffel für 24 Cent angeboten wurde, zeigt, wie nicht anders zu erwarten, dass etwas mehr Menschen sich für die billigere Schokolade entscheiden. Bietet man aber Lindt für 23 Cent und Hershey für 0 Cent, dann wechseln 90 Prozent der Lindt-Esser zu Hershey, obwohl sich die Preisdifferenz zwischen den beiden gar nicht verändert hat. 130
    Das erklärt, warum die Bremse nicht funktioniert, die im wirklichen Leben funktioniert: der finanzielle Aufwand.Wir spüren die Kosten, die unserer Aufmerksamkeit und unserem Gedächtnis entstehen, nur indirekt. Im wahren Konsumleben wissen wir, dass es wichtig ist,Verführungen zu widerstehen und nur das Notwendige zu kaufen, Geld zu sparen, statt alles nur darum auszugeben, weil man sich nach dem Kauf besser fühlt. In der Informations-Wirtschaft befinden wir uns, ewig hungrig wegen des regelmäßig abstürzenden Glukosespiegels, im Zustand des permanenten Mundraubs. Der Informationsaustausch

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