Payback
funktioniert wie der menschliche Stoffwechsel: Jedes Byte ist ein Cookie, der, wie man weiß, sehr schnell nur noch hungriger macht.
Deshalb sollte man sich genauer überlegen, was man zahlt, wenn »alles gratis« ist. Für »all you can eat« muss der Körper blechen. Für »all you can read« der Geist. Wir haben nicht genug geistige Rücklagen für das, was wir kostenlos konsumie-ren.Wir konsumieren nicht nur, wir arbeiten auch kostenlos im Netz. Und nicht nur das: wir werden auch immer schlechter in dem, was wir tun, weil sich Multitasking eben nicht trainieren lässt. Ich-Erschöpfung macht uns nicht nur passiv, der IQ und ausgerechnet die höheren Fähigkeiten des menschlichen Geistes, zum Beispiel logisches Denken, werden in Mitleidenschaft gezogen, und das, was Sie jetzt gerade tun: Bücher lesen ist Mühsal.
Nach einem langen Einkaufstag können wir uns ins Café setzen und eine Limonade trinken.
Doch ob wir unsere Kraft zurückbekommen, rationale Entscheidungen zu treffen (und nicht nur impulsive), hängt, wie Roy Baumeister lakonisch schreibt, davon ab, ob wir eine Cola-light trinken oder eine mit Zucker.
Haben Informationen Kalorien? Klingen deshalb Ratschläge gegen Erschöpfung wie Diätvorschläge: abschalten, Pausen machen und vor allem keine Kohlenhydrate. »Sind Kartoffeln besser oder Brot?« Wenn es ein Preis-Kosten-Verhältnis in der freien Netzökonomie gibt, dann ist es dieses.Wir werden überhäuft mit kostenloser Nahrung und vergessen dabei, dass wir selbst eine ganz besondere Delikatesse unter diesen Gratishappen sind.
Aber es gibt einen Ausweg. Man kann den Muskel, also die Willenskraft, stärken. Allerdings taugen dafür weniger die Verfahren, die manchen Menschen im Stress des Alltags helfen, wie Lebensratgeber und Meditation. Die Veränderung durch Informationstechnologien ist grundsätzlich anders: Sie verändern unsere kognitive Fähigkeit, sie verdrahten unser Hirn neu, und die Reize, denen wir ausgesetzt sind, sind komplexer, subtiler und effizienter als alles, was wir im Alltag kennen. Deshalb müssen wir das stärken, was nur wir als unvollständige, fehlerhafte und schöpferische Wesen können. Das ist das Gegenteil des »mechanischen Türken« und aller ähnlichen Projekte, die die stupide Arbeitswelt Frederick Taylors ins 21. Jahrhundert übertragen.
Der Preis, den wir zurückfordern können, ist erstaunlich hoch, und er stärkt die Selbst-Regulation, die »Trumpfkarte der Persönlichkeit« 131 , die alles andere aussticht. Jogger werden heute längst nicht mehr belächelt wie in den sechziger Jahren, als die Trimm-Dich-Bewegung startete. Und was damals für das Leben in Fleisch und Blut galt, gilt nun auch für die Leben in Bytes und Bites.
Hat man einmal in seinem Kopf die Vorstellung vom »Muskel« für unsere kognitive Überforderung etabliert, wird klar, wie sehr unsere Anpassungsprobleme mit den großen Debatten über die Erschöpfung von Arbeitern im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert vergleichbar sind. Nur dass es diesmal weniger um den Bizeps als um das Hirn selbst geht.
Das Wort »Kalorien« kommt bei Darwin noch nicht vor. Es taucht erst auf, als Menschen wie Maschinen berechnet werden mussten. Um die Arbeitsleistung zu optimieren, verfiel man auf die Kalkulation von Kalorien. Es ging, in den Worten der damaligen Wissenschaftler, um den »menschlichen Motor« und die Frage, wie viel Energie er braucht, um sinnvolle Leistung zu erbringen. Daten von Gefangenen in französischen Gefängnissen wurden ebenso zugrunde gelegt wie die von Soldaten und Fabrikarbeitern. Auch hier ging es nur um Erschöpfung, allerdings nicht die Ich-Erschöpfung, sondern die des Körpers. Durch richtige Ernährung sollte der
fatigue
- das große Schlüsselwort des
19. Jahrhunderts für körperliche Erschöpfung - Einhalt geboten werden, der schlimmsten Geißel des menschlichen Motors. 132 Man nannte das die »Wissenschaft von der Erschöpfung« und propagierte eine »Hygiene der Effizienz«. 133
Das klingt, wenn man ein paar Worte vertauscht, wie eine aktuelle Studie zu den Folgen von Multitasking und Informa-tions-Überflutung. Damals sollte der Muskelaufbau nicht mehr dem eines Bauern oder Schmiedes ähneln, sondern etwas ganz Neues werden: Die moderne Industrie des frühen zwanzigsten Jahrhunderts brauchte Menschen, die zu feineren und kleineren Bewegungen fähig waren. Hier bereiteten sich die großen Choreografien der kollektiven Arbeitswelt des letzten
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