Peacemaker
dann gibt er es nur den verdammten Ungläubigen.« Er schraubte den Verschluss auf, setzte die Flasche an und trank, bis sie völlig leer war.
Gideon blickte sich um und entdeckte eine Schüssel mit Essen, die auf einer niedrigen Wand stand. Fliegen schwirrten um die Schüssel. Er ging hinüber und verscheuchte die Fliegen, dann sah er hinter der niedrigen Wand die Leiche eines Mannes liegen, der sich das Essen vermutlich gerade zubereitet hatte, als er erschossen wurde. Gideon nahm die Schüssel, wandte sich respektvoll von dem Mann ab, der seiner letzten Mahlzeit beraubt worden war, und schnupperte. Das Essen roch phantastisch. Gemüsecurry mit ein paar Hähnchenstücken und Reis. Die Ortschaft war offenbar erst vor so kurzer Zeit angegriffen worden, dass das Essen noch nicht hatte schlecht werden können.
Gideon inhalierte förmlich den gesamten Inhalt der Schüssel.
Chadeev öffnete ein weiteres Bier und trank einen Schluck. »Ihr Bruder ist ein Genie«, sagte er. »Ich bin hierhergekommen, nachdem ich in Tschetschenien, Afghanistan, Pakistan und an allen möglichen anderen Orten gekämpft hatte. Jetzt besorge ich es den verdammten Ungläubigen hier in Mohan. Aber Ihr Bruder hat mir die Augen geöffnet. Er hat mir das wahre Wesen Gottes offenbart.«
»Hat er das, ja?«, erwiderte Gideon. Er blickte sich im Raum um und betrachtete all die Toten. Jetzt, da sein Bauch voll war, sah er deutlicher. Bevor er gegessen hatte, war es ihm beinahe so vorgekommen, als wären da nur Hürden auf dem Weg zu einer Mahlzeit. Jetzt dagegen …
»Das hier.« Chadeev schwenkte den Arm. »Das ist das Wesen Gottes.«
»Ist mein Bruder tot?«
Chadeev zwinkerte und deutete wiederholt nach oben. Da das Dach weggesprengt worden war, konnte man den wolkenlosen blauen Himmel über dem Gebäude sehen.
»Was soll das bedeuten?«
»Das Auge im Himmel!«, flüsterte Chadeev. »Das Auge im Himmel!« Er deutete mit dem Daumen in die Ecke des Gebäudes, über der sich noch ein Dach befand. »Da drüben.«
»Was?«
»Da drüben. Gehen Sie da rüber.« Chadeev hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
Gideon folgte dem verrückten Kerl zum anderen Ende des Gebäudes, das noch überdacht war.
»Das Auge im Himmel kann von den Lippen lesen. Sprechen Sie niemals im Freien.«
»Hat Abu Nasir Ihnen das beigebracht?«
»Machen Sie keine Witze!« Chadeev lachte. »Das ist al-Qaida-Lehre.«
»Sie gehören also al-Qaida an?«
»Namen! Schuldzuweisungen!« Chadeev lachte abermals, dann legte er Gideon sanft die Hand auf den Arm. »Wenn Ihr Bruder Sie gesehen hat, hat er immer einen Toast ausgebracht und gesagt: ›Auf meinen naiven Bruder, den Friedensstifter … und auf seinesgleichen.‹«
»Wie meinen Sie das, ›wenn er mich gesehen hat‹? Wie konnte er mich sehen?«
Chadeev zuckte mit den Schultern. »CNN! Ihr Gesicht ist die ganze Zeit auf CNN. Die lieben Sie, lieben Ihre netten kleinen Grübchen.« Er streckte die Hand aus und strich Gideon über die Wange.
Gideon schlug seine Hand weg. »Ist mein Bruder hier?«
Chadeev zuckte geheimnisvoll mit den Schultern.
Daraufhin machte Gideon einen drohenden Schritt auf ihn zu. »Wissen Sie, wo er ist, oder nicht?«
»Sie möchten Abu Nasir nicht sehen, mein Freund. Vertrauen Sie mir. Ihnen würde nicht gefallen, was Sie sehen.«
»Dann wissen Sie also, wo er ist?«
Der Kabardiner nickte resigniert. »Kommen Sie. Ich zeige Ihnen sein Zimmer.«
Chadeev führte Gideon in ein angrenzendes Gebäude aus Betonstein, das zur Hälfte dem Erdboden gleichgemacht worden war. Sie kletterten über die Trümmer und betraten das Gebäude durch ein zerklüftetes Loch in der Wand. Im Inneren lagen weitere Leichen, und um einen Ofen standen mehrere Klappstühle. Gideon warf einen Blick auf die Toten, um zu sehen, ob es sich bei einem von ihnen um Tillman handelte.
Neben einem ordentlich gemachten Feldbett stand eine Munitionskiste, die als provisorischer Nachttisch diente. Darauf lag ein Buch, dessen Einband verknickt war und dessen Seiten Eselsohren hatten. Abgesehen von einer Staubschicht, die alles bedeckte, war der Raum von den Bomben verschont geblieben.
»Hier hat er geschlafen«, sagte Chadeev.
Gideon nahm das Buch, das auf dem Nachttisch lag, gedankenverloren in die Hand und erschrak ziemlich, als er den Staub vom Einband wischte.
Der Weg zum Frieden von Gideon Davis.
Er hatte dieses Buch ein Jahrzehnt zuvor geschrieben. Es handelte sich um eine Ausarbeitung seiner Doktorarbeit, die zu
Weitere Kostenlose Bücher