Pechstraehne
ich mir im Klaren, deshalb der gepackte Koffer. Allerdings bin ich ein Mörder und erwarte keine Sonderbehandlung.«
Den gepackten Koffer gab es tatsächlich. Er stand hinter der Eingangstür zu Anselms Apartment im dritten Stock des Seniorenstifts, wo die drei ein paar Minuten später ankamen.
»Wo finde ich die Waffe?«, wollte Hain wissen, während er eine kleine, durchsichtige Plastiktüte aus der Innentasche des Sakkos zog.
»In der Anrichte. Oberstes Fach.«
Der Oberkommissar trat an das kirschholzfarbene Möbelstück, zog die Schublade heraus, und erblickte eine wertvoll aussehende polierte Holzkiste. Darin befand sich die von Anselm beschriebene Smith&Wesson, eine schwere, klobige Waffe mit kurzem Lauf. Hain fädelte einen Stift durch die Abdeckung des Abzugs, schob den Trommelrevolver in die Tüte und reichte das Ganze an Lenz weiter. Dann griff er an seinen Gürtel.
»Ist das wirklich notwendig?«, fragte Anselm mit Blick auf die Handschellen, die der Polizist ihm hinhielt.
»Die Vorschriften wollen es so.«
»Und wenn ich Ihnen mein Wort als Offizier gebe?«
Hain warf seinem Boss einen fragenden Blick zu, der kaum merklich nickte.
»Lass gut sein, Thilo. In diesem Fall machen wir eine Ausnahme.«
»Danke, Herr Kommissar«, bemerkte Anselm leise.
16
Die beiden folgenden Tage waren geprägt von einem riesigen, bundesweiten Medienecho auf den Fall in Kassel. Sämtliche Nachrichten- und Fernsehmagazine brachten Berichte und Kommentare zu Herbert Anselms Tat, und keine 24 Stunden nach der Festnahme des Mannes hatte das Thema eine bemerkenswerte Eigendynamik entwickelt. Da gab es auf der einen Seite diejenigen, die sein Handeln in Bausch und Bogen verdammten, die ihn am liebsten zum Tod verurteilt gesehen hätten, und auf der anderen Seite Menschen, die Verständnis für ihn bekundeten. Die gesamte Tragweite konnte hingegen noch keiner von ihnen ermessen, denn die Krankheit des ehemaligen Soldaten war der Öffentlichkeit noch nicht bekanntgemacht worden.
Anselms Lebenslauf wurde bis ins Detail durchleuchtet. Ehemalige Offizierskollegen waren ausfindig gemacht worden oder meldeten sich gleich selbst bei den Agenturen, um über sein Leben und seine Persönlichkeit Auskunft zu geben.
Allgemein wurde das Bild eines sehr zielstrebigen, verlässlichen Mannes erkennbar, dem Begriffe wie Ehre, Freundschaft und Kameradschaft viel bedeuteten. Eine schlüssige Antwort auf das Warum der Tat konnte keiner der Befragten geben.
Allerdings gab es eine weitere Stoßrichtung der Medien, speziell solcher links der Mitte stehender. In kritischen Artikeln wurde hier die Rolle der Nordhessenbank und speziell die ihres Mitarbeiters Sven Vontobel untersucht. Zeugen wurden ausfindig gemacht, die darüber berichteten, wie ihnen unter Vorspiegelung aberwitziger Renditeziele Finanzpapiere angedreht wurden, die innerhalb kürzester Zeit fast oder komplett wertlos wurden. Dabei wurde deutlich, dass besonders ein Vorgehen Methode hatte. Es ging dabei um mehrere Kapitalerhöhungen des Instituts, die von institutionellen Anlegern mit großem Misstrauen beäugt und demzufolge nicht gezeichnet wurden. In der Folge hatten die Berater der Bank die Anteilscheine den vielen Stammkunden angedreht, zum Teil mit hanebüchenen Versprechungen. Insgesamt handelte es sich dabei um eine Größenordnung von mehr als 180 Millionen Euro.
Rudolph Gieger, der Vorstandsvorsitzende der Bank, berief eine Pressekonferenz ein und entschuldigte sich bei allen Anlegern, die Geld verloren hatten. Allerdings, gab er zu bedenken, hatten in der gleichen Zeit durch das umsichtige Handeln der Nordhessenbank auch viele Menschen ihr Vermögen vergrößert, und das in einem enorm schwierigen Marktumfeld. Natürlich, so bemerkte er traurig, hatten Sven Vontobels – bei dem es sich um einen kriminellen Einzeltäter handelte – Machenschaften, die im Übrigen in keiner wie immer gearteten Weise durch die Bank gebilligt wurden, zu Verlusten unter einigen Kunden des Hauses geführt, jedoch würde schon an einem Plan gearbeitet, um diese auszugleichen. Nähere Einzelheiten dazu würden in etwa zwei Wochen bekannt gegeben.
»Ich glaube ihm kein Wort«, bemerkte Maria emotionslos, während sie sich ein Handtuch um den Kopf wickelte und neben Lenz aufs Bett fallen ließ.
»Warum?«
»Alles Hinhaltetaktik. In 14 Tagen oder vier Wochen fragt kein Mensch mehr danach, das macht er sich zunutze. Dann wird längst eine andere Sau durchs Dorf getrieben, und Kassel und
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