Pechvogel: Roman (German Edition)
Blick irrt zwischen Tommy, Doug und Mandy hin und her, während ich zu ergründen versuche, wie ich jetzt reagieren soll. Dabei versuche ich, nicht nach unten zu schauen, da ich es doch etwas seltsam finde, Mandy nackt zu sehen. Nicht dass ich mich irgendwie zu ihr hingezogen fühlen würde. Das ist hier nicht wie in Blumen der Nacht von V. C. Andrews. Aber ich hätte auch prima ohne das Wissen weiterleben können, dass Teile der Anatomie meiner Schwester Ähnlichkeiten mit einer Nacktkatze aufweisen.
Und da wären wir nun also wieder am Ausgangspunkt.
»Zuerst einmal sollten wir uns beruhigen«, sage ich. »Warum steckst du das Ding nicht weg?«
Da mir das Glitzern ihrer Augen und das Zucken ihrer Oberlippe andeuten, dass Mandy nicht uneingeschränkt bei Verstand ist, weiche ich sicherheitshalber zur Dachkante zurück und werfe einen erneuten kurzen Blick auf den immer noch bewegungslosen Doug.
»Das ist alles nur deine Schuld!«, sagt sie und umklammert das zwanzig Zentimeter lange Tranchiermesser mit beiden Händen. »Alles. Absolut alles. Deine Schuld!«
Zusätzlich zu der Tatsache, dass sie humpelt, nackt und mit einem Messer bewaffnet ist, fällt mir auf, dass ihr Haar verschmort ist und ihre Schulter und Taille mit Brandspuren übersät sind.
Über uns schiebt sich ein Helikopter in unser Blickfeld. Zunächst denke ich, dass es die Polizei ist, aber dann bemerke ich das CBS-News- Logo auf der Seite.
Fieberhaft suche ich nach Worten, mit denen ich Mandy beruhigen kann – irgendetwas, um die Situation zu entschärfen. Aber ich fürchte, dass mir alles, was ich sagen könnte, nur im Mund herumgedreht werden wird. Also schenke ich ihr ein Lächeln und hoffe, dass es die Spannungen löst und die Stimmung hebt.
»Meinst du, das ist witzig?«, stößt sie hervor und sticht zur Untermauerung ihrer Frage bei jedem der letzten drei Worte vor sich in die Luft.
»Nein«, versichere ich und weiche weiter zurück, bis ich nur noch einen Meter von der Dachkante entfernt bin. »Das ist überhaupt nicht witzig.«
Eine Menschentraube hat sich einundzwanzig Etagen unter mir auf der Sutter Street gebildet, die Gesichter sind nach oben gewandt und im fahlen Schein der Straßenlaternen nicht deutlich zu erkennen; aber selbst aus dieser Höhe ist nicht zu übersehen, dass der Medienzirkus seine Zelte aufschlägt. Übertragungswagen, Reporter, Flutlichter. Ein Dutzend Kameras sind auf die Spitze des Hotels gerichtet, der CBS-News- Hubschrauber umkreist uns erneut, und der Kameramann, der mit einer Videokamera aus der offenen Tür hängt, hat uns genau im Visier.
Mandy versteht plötzlich, dass sie im Fernsehen ist, und versucht, ihre Blöße zu bedecken. Aber wenn ein Tranchiermesser alles ist, hinter dem du dich verstecken kannst, dann muss der Anstand sich leider geschlagen geben.
Wahrscheinlich sitzen Mandys Töchter in genau diesem Moment zu Hause vor den Nachrichten und fragen sich, was ihre Mutter mit einem Schlachtermesser in der Hand auf dem Dach des Sir Francis Drake verloren hat. Ihren Mann hingegen dürfte vor allem die Frage umtreiben, warum sie nackt ist.
Tatsächlich frage auch ich mich das immer noch.
»Was ist passiert?«, frage ich.
»Was passiert ist?« Sie lacht bitter auf. »Ich werde dir sagen, was passiert ist. Zuerst bin ich eine Treppe heruntergefallen und habe mir den Knöchel verdreht. Dann habe ich den Aufzug genommen, der aber nach oben statt nach unten fuhr. Und plötzlich bin ich in Harry Denton’s Starlight Room gestolpert, habe dort das Büfett umgeworfen und mich selbst in Brand gesteckt. Das ist passiert.«
Na gut, das erklärt, woher das Messer stammt und warum sie nackt und angekokelt ist. Die Enthaarungssache erklärt es zwar nicht, aber es gibt auch ein paar Dinge, die ich gar nicht wissen muss.
»Es tut mir leid, dass ich dich da mit hineingezogen habe«, sage ich. »Es war nie meine Absicht, dass …«
»Scheiß auf deine Absichten, Aaron. Ich bin mit Pech infiziert. Ich kann spüren, wie es sich in mir bewegt. Das ist, als ob man von innen nach außen vergewaltigt wird. Hast du auch nur die leiseste Ahnung, wie sich das anfühlt?«
Das habe ich allerdings. Trotzdem beschließe ich, dass dies nicht der ideale Zeitpunkt ist, um sich gegenseitig im Ertragen von Widerlichkeiten zu übertreffen.
»Ich hatte diese Art zu leben hinter mir gelassen!« Wieder fuchtelt sie bedeutungsvoll mit dem Messer umher – für den Fall, dass ich es vergessen haben sollte. »Und dann
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