Pechvogel: Roman (German Edition)
Termin?«
»Was? Nein. Ich habe keinen Termin.«
»Dann komm nächste Woche wieder.« Und mit diesen Worten macht der Junge die Tür zu.
Ich stehe ein paar Sekunden da, starre die Tür an und will ihr schon einen ordentlichen Tritt verpassen oder hundertmal klingeln. Stattdessen strecke ich der Tür und dem widerlichen Jungen dahinter einfach die Zunge raus und gehe weg.
Tja, das war ja überaus produktiv.
Ziemlich ernüchtert – und frisch gedemütigt – gehe ich die Lombard Street entlang zur Hyde Street, um dort die Aussicht auf den Coit Tower und die Bay Bridge zu genießen. Ich will den Kopf frei bekommen, mich abregen und meine nächsten Schritte planen. Vielleicht läuft mir ja irgendein vor Glück überquellender Tourist über den Weg und hebt meine Laune. Wobei ich nicht darauf wetten würde.
Oben auf dem Hügel, auf dem die Lombard und die Hyde sich kreuzen, ist die Straße mit Steinen gepflastert und führt in acht steilen Serpentinen an Terrassen mit Wohnhäusern darauf vorbei. Eine Menge Touristen haben sich hier versammelt, fotografieren den Ausblick und beobachten, wie Autos die angeblich kurvenreichste Straße der Welt herunterfahren. Ich mische mich unter die Leute, lausche der Symphonie aus fremden Sprachen und Gelächter und frage mich, ob irgendeiner von diesen Menschen das Risiko eines schnellen Wilderns im Vorbeigehen wert ist.
Während ich die Touristen ihrem Glückswert nach scanne, bittet mich ein Latino-Pärchen, es zu fotografieren. Ich habe nichts Besseres vor und denke mir, dass ich vielleicht etwas Kleines Glück von ihnen erschnorren kann, und daher platziere ich sie an den Treppen mit Coit Tower, Telegraph Hill und der Bay Bridge im Hintergrund.
Als sie gerade ihr Fotogrinsen aufgesetzt haben und ich auf den Auslöser drücke, rast ein Sechzehnjähriger mit seinem Skateboard auf dem Bürgersteig zwischen uns vorbei. Er beschreibt einen Neunzig-Grad-Winkel auf seinem Brett, biegt an der Mündung in die Lombard Street ein und fährt dann zwischen den Autos hindurch die kurvige Straße hinunter, während um ihn herum Hupen und wütende Rufe erklingen.
Während ich weiterhin die Kamera halte und das Paar mich um ein zweites Foto bittet, sehe ich zu, wie sich der Junge mit der Selbstsicherheit und Waghalsigkeit eines Teenagers seinen Weg zwischen Kotflügeln und Bordsteinen, Stoßstangen und Hecken hindurch bahnt. Auf halber Strecke den Hügel hinab erwischt ihn ein Volvo, doch der Junge rollt sich über die Motorhaube ab und landet in ein paar Büschen mit rosa Blüten. Er rappelt sich auf, springt unbeschadet auf sein Skateboard und rast sofort weiter. Mit einem Lächeln im Gesicht und mit triumphierend erhobenem Mittelfinger – ein Gruß an den Fahrer des Volvos.
Und siehe da: Ich habe mein Opfer gefunden.
Kapitel 13
I n der Hoffnung, den Jungen auf dem Skateboard irgendwie einzuholen, renne ich die Stufen entlang der Lombard Street hinab, weiche Touristen aus und versuche dabei, so normal wie möglich zu wirken. Da erst fällt mir auf, dass ich immer noch die Kamera des Latino-Paars in der Hand habe.
Ich drehe mich um und sehe den Mann knapp zwei Treppenabsätze hinter mir, während seine Frau oben an der Straße steht, schreit und auf mich zeigt.
Manchmal hasse ich den Gedanken, dass mein Vater mich jetzt beobachten, nicken und sagen könnte: Ich hab es doch gesagt.
Weil ich mir denke, dass es eine hübsche Erinnerung an ihre Reise sein könnte, mache ich noch schnell ein Bild von dem mich verfolgenden Mann und seiner schreienden Frau im Hintergrund, rufe »Tut mir leid!« und lege die Kamera vorsichtig in einem Blumenbeet ab. Dann stürme ich weiter die Treppen hinunter.
Der Junge auf dem Skateboard hat das Ende der Lombard fast erreicht, und uns trennen noch ein halbes Dutzend Treppenabsätze voller Touristen, als mir eine junge Frau auf einem Roller auffällt, die über den gewundenen, gepflasterten Weg fährt und sich dabei zwischen den Autos hindurchschlängelt. Als sie unten ankommt, fährt sie an den Straßenrand und schaut in meine Richtung. Kurz denke ich, dass sie bloß den Ausblick oder den Augenblick genießt, aber als ich mich an einer vierköpfigen deutschen Familie und einem jungen Pärchen, das über das Mittagessen streitet, vorbeidrücke, stelle ich fest, dass die Frau mich anschaut … beinahe so, als würde sie mich kennen. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist.
Aus der Ferne wirkt sie hübsch: jung, schlank und mit kurzem braunem Haar, das
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