Pechvogel: Roman (German Edition)
unter ihrem Helm hervorblitzt. Ich überlege, ob sie eine der Kellnerinnen sein könnte, mit denen ich geschlafen habe, aber falls es so ist, habe ich keine Ahnung, ob sie bei Starbucks oder Peet’s arbeitet. Vermutlich spielt das gar keine Rolle, denn letzten Endes hassen sie mich alle. Vielleicht ist sie also auch eine Stalkerin mit Rachegelüsten. Oder eine Verehrerin. Ist mir beides schon passiert.
Aber dann sieht sie zuerst zu dem Jungen auf dem Skateboard, der seinen Slalom um die Autos beendet hat und von seinen Skaterfreunden mit einem High five empfangen wird, und danach wieder zu mir.
Und dabei lächelt sie mich an.
Ich weiß noch immer nicht, wer sie ist oder woher sie kommt, aber dafür wird mir etwas anderes klar: Sie schaut mich nicht an, weil sie weiß, wer ich bin, sondern weil sie weiß, was ich bin. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr triumphierendes Lächeln bedeutet, dass sie sich meine Beute schnappen will.
Noch ein Glückwilderer. In meiner Stadt.
Ich frage mich, ob das irgendwas mit Tommy Wong zu tun hat.
Woher sie weiß, dass ich ein Wilderer bin, weiß ich nicht. Vielleicht war es meine offensichtliche Zielstrebigkeit. Oder der Latino-Kerl, der mir die Treppen hinunter gefolgt ist. Das spielt allerdings auch keine Rolle. Sehr wohl eine Rolle aber spielt, dass sie hier in San Francisco ist – und dass sie das nicht sein sollte.
Ich renne die letzten Stufen hinunter, nehme immer zwei auf einmal, während sie zu dem Jungen fährt und ihn sofort in ein Gespräch verwickelt. Was auch immer sie sagen mag, scheint zu wirken. Selbst bei dieser Entfernung zeigt mir sein Gesichtsausdruck, dass ihre Worte ihm schmeicheln. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.
Jetzt bin ich nur noch einen Absatz vom Treppenende entfernt. Im Stillen hoffe ich, dass ich sie noch rechtzeitig erreiche, dass ich mich einmischen und selbst meinen Charme bei dem Jungen spielen lassen kann, ehe es zu spät ist. Aber dann streckt sie ihre weiche, weibliche Hand aus – eine Geste, die eine unausgesprochene Einladung, ein erotisches Versprechen darstellt. Und in dem Moment wird mir klar, dass ich niemals eine Chance hatte.
Als ich endlich unten ankomme, schüttelt der Junge ihr mit einem Lächeln die Hand.
»He!«, schreie ich und habe keine Ahnung, was ich damit eigentlich bezwecken will. Der Schaden ist ohnehin schon angerichtet. Sie hat sein Glück bereits gestohlen, und es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sie es teilen möchte. Aber ich bin sauer. Das hier ist meine Stadt. Das sind meine Leute. Und niemand außer mir darf sie bestehlen.
Die niedliche Brünette wendet sich kurz zu mir um, während sie noch immer die Hand des Jungen hält. Dann sagt sie etwas zu ihm, lässt los und fährt mit ihrem Roller die Leavenworth Street entlang. Wenig später biegt sie ab und ist aus meinem Sichtfeld verschwunden.
Einen halben Block lang jage ich ihr nach und schreie ihr hinterher, dass sie anhalten soll – ohne Erfolg. Schließlich gebe ich auf. Als ich mich umdrehe, versperrt mir der junge Skater den Weg, seine Freunde stehen dicht hinter ihm.
»Was hast du für ein Problem, Alter?«, fragt der Junge, der mit seinen langen Haaren und der umgedrehten Baseballkappe ganz dem Typ Rebell von der Highschool entspricht.
»Such dir was aus«, antworte ich und will an ihm vorbeigehen. Was auch immer diese Kinder wollen: Ich habe gerade keine Zeit, mich mit ihnen herumzuschlagen.
Doch auch die Skater setzen sich in Bewegung und teilen sich auf, so dass ich nicht an ihnen vorbeikomme.
Keine Ahnung, was hier vor sich geht, aber ich fühle mich wie in einem schlechten Achtziger-Jahre-Film mit Corey Haim. Oder vielleicht auch mit Corey Feldman. Die beiden konnte ich nie auseinanderhalten.
Ihr Anführer, über dessen Oberlippe der Schatten eines Schnurrbarts zu erkennen ist, macht einen Schritt auf mich zu. »Warum lässt du die Puppe nicht in Ruhe?«
Jetzt verstehe ich. Nichts erzeugt männlichen Heldenmut schneller als die Gelegenheit, einer holden Jungfrau in Nöten zu Hilfe zu eilen.
Meine potenzielle Beute an eine in fremden Revieren wildernde Glücksdiebin zu verlieren ist schon schlimm genug. Doch nun werde ich auch noch von einem Haufen Teenies mit Oberlippenflaum und Baggypants herausgefordert, die offenbar an Größenwahn leiden.
»Warum kümmerst du dich nicht um deine eigenen Angelegenheiten?«, gebe ich zurück.
Diplomatie war noch nie mein Ding.
»Was dagegen, dass wir dich zu unserer Angelegenheit
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