Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
treuen Augen neben dem Tischfuß zu platzieren und zu „betteln“, wie das mein Herrchen bezeichnet. Belohnungen bei der Arbeit nehme ich höchstens in Form von „Dentasticks“ entgegen. Schmecken köstlich, und Herrchen glaubt, dass sie außerdem meiner Gesundheit und meinem allgemeinen Wohlbefinden förderlich sind.
Was Herrchen nicht erzählt oder schlicht und einfach versucht zu ignorieren, ist meine Vorliebe für Süßes und Mehlspeisen. Während andere Hunde in Pressbaum, wo Tonis Mutter wohnt, alle möglichen Essensreste direkt von der Straße wegschlingen, werde ich als gelegentlicher Urlaubsgast von Herrchens Mutter mit feinstem Kaiserschmarrn verwöhnt. Geschadet hat’s noch nie, ist ja keine Schokolade, und auch fett bin ich nicht geworden, denn seit Jahren habe ich mich bei einer Schulterhöhe von 60 Zentimetern auf mein ideales Körpergewicht zwischen 20 und 22 Kilogramm eingependelt. Vielleicht deswegen, weil man eben auf das schaut, was man frisst.
Models dürfen nicht immer das vernaschen, wofür sie werben oder womit sie posieren. So passiert beim Shooting für das Buch
Pecorino in München
. Die bayerische Landeshauptstadt ohne Weißwürste-Motiv in einem Fotobuch – undenkbar! Im gemütlichen Augustiner-Restaurant haben die umstehenden Zaungäste ihren Augen kaum trauen wollen, als ich das Foto mit der köstlichen Weißwurst direkt im Maul mehrmals über mich ergehen ließ und das begehrte Wursthäutchen nicht ein einziges Mal verletzt habe. Oberstes Gebot: Arbeit ist Arbeit und Fressen ist Fressen. Auch wenn es mittags war und ich zuletzt am Vorabend gefressen hatte. Mein Job besteht eben zum Großteil aus Disziplin – ist ja bei menschlichen Models nicht viel anders. Viel schwieriger war da schon die Einstellung im Englischen Garten mit der befreundeten Hündin Jessie, die übrigens kurze Zeit später die Mutter meiner Hundekinder werden sollte. Ein Hunde-Picknick mit typisch bayerischer Brotzeit war angedacht. Jessie hatte den Großteil der gelieferten Weißwürste bereits verschlungen, bevor noch ein brauchbares Bild im Kasten war. Na ja, nicht jeder Hund ist ein Model.
Genug der Brotzeit und auch der Mittagsrast. Zwölf Kilometer wollen noch absolviert werden. Ein Erinnerungsbild mit Wirtin Marisa, ein Foto auf der Ponte della Maestà, eines mit einem Mops in den engen, mittelalterlichen Gassen, und Portico gehört der Vergangenheit an. Es geht weiter und es geht bergauf. Sehr steil bergauf. Dichter, urtümlicher Wald verdrängt die eben noch genossene Zivilisation. Der Wegweiser mit dem Tau zeigt die verbleibende Strecke nach Premilcuore mit 3,5 Stunden an. Der Wald wird dichter und dichter. Kaum ein Vorankommen. Lianen versperren den Weg. Es wird dunkler, das Dickicht beinahe undurchdringlich. Die Szenerie erinnert an den Regenwald des Amazonas – selbst, wenn man ihn nur von Bildern kennt. Genau in dieser Situation tauchen wie aus dem Nichts drei Gestalten auf. Unheimlich, der Ort strahlt die Atmosphäre eines verwunschenen Märchenwaldes aus. Da surren plötzlich schlimme Gedanken durch meinen Kopf. Visionen von einem Déjà vu. Eine Serie von grauenhaften Verbrechen, die sich vor einigen Jahren in einem ähnlichen Waldstück nahe Florenz – also gar nicht so weit von hier – ereignet hatte. Herrchen Toni war damals oft in der Toskana und hat die schauderhafte Geschichte immer und immer wieder im Kreise von Freunden erzählt bekommen. Als
mostro di Firenze
, also „Monster von Florenz“, ist der sechzehnfache Mordfall nicht nur in die Annalen der italienischen Kriminalpolizei eingegangen. Sogar ein auf Polizeiprotokollen beruhender Bestseller ist daraus entstanden. Er schildert die brutalen Morde an insgesamt acht Liebespärchen in den wunderschönen Wäldern rund um Florenz. Zwischen 1985 und 1993 wurden diese Gräueltaten begangen. Ein Massenmörder. Ein Einzeltäter oder gar drei Täter? Die drei dunklen Gestalten kommen näher und näher. Man kann nichts erkennen, nur Umrisse im dumpfen Gegenlicht. Schauderhaft.
„Buon giorno, pellegrini!“
Entwarnung. Die drei unheimlichen Gestalten hatten sich bei näherer Betrachtung als lustige italienische Wanderer entpuppt. Mein albtraumhafter Ausflug in die Kriminalgeschichte der Toskana und meine Ängste waren mehr als fehl am Platz. Auch das schummrige Licht zwischen den Ästen und Lianen wurde ganz plötzlich wieder gleißender. Ein verwunschenes, aber geniales Foto im Märchenwald war die Quintessenz dieser schaurigen
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