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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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Wir unterhielten uns ein bisschen, und ich sagte zu ihr: »Hör bloß nicht auf Literaturprofessoren, Grammatiklehrer, Kritiker oder Theoretiker. Sie können dir ganz schönen Schaden zufügen. Hör nur auf dich selbst. Das braucht vielleicht seine Zeit, aber es ist besser... Na ja, vielleicht nicht besser oder schlechter, eher: Es gibt keinen anderen Weg.«
    »Und wenn mir ein Schriftsteller einen Rat gibt?«, fragte sie mich zweifelnd.
    »Na, dann hörst du ihn dir an, aber nicht allzu sehr. Hör auf niemanden allzu sehr.«
    An mehr erinnere ich mich nicht. Meine Frau - damals war sie schon fast meine Ex-Frau - war in New York, fast ohne Geld, aber glücklich, und suchte einen guten Galeristen für ihre Skulpturen, und ich saß bedrückt in Havanna und suchte Schuld bei den anderen. Ich glaube, ich war all die Jahre voller Mitleid mit mir selbst und versuchte, vor mir selbst zu flüchten. Das Schlimmste daran war, dass ich mich eigentlich davor scheute, mit mir allein zu sein, mir selbst Gesellschaft zu leisten, mich mit mir selbst zu unterhalten. Und vielleicht war die hartnäckige Suche nach innerem Frieden überhaupt nicht gut für mich. Ich weiß nicht, wer mir diese fixe Idee überhaupt in den Kopf gesetzt hatte. Um in innerem Frieden zu leben, muss man doch ein Idiot sein, oder?

 
     
Schwul mit Selbstmord
     
    Das Telefon klingelte, und man teilte mir mit, Aurelio habe versucht, sich das Leben zu nehmen und liege bewusstlos auf der Intensivstation der Ambulanz. Sie liegt ganz in der Nähe, also ging ich hin. Auf dem Weg versuchte ich mich selbst aufzumuntern:
    »Er kann von Glück sagen, dass er bewusstlos ist«, dachte ich, »denn sobald er wieder sprechen kann, werde ich dieser Schwuchtel ganz schön den Marsch blasen. Warum, zum Teufel, versucht er sich umzubringen, ohne einen Piep zu sagen? Ohne Adrenalin abzulassen? Scheißkerl! So gut wie alles lässt sich im Gespräch bei einer Flasche Rum lösen - man muss nur einfach alles mal rauslassen, bei einer Frau, bei Gott oder einem Freund.«
    Im Wartezimmer treffe ich Aurelios Neffen. Er schien nur darauf zu warten, dass Aurelio endlich das Zeitliche segnete. Genaueres wusste er nicht und wollte auch nichts wissen. Ich suchte die Ärzte auf. Sie wollten mir keine Auskünfte geben. Und ich wurde richtig grantig, als eine Krankenschwester - Mulattin, jung, anmutig, aber schlecht gelaunt - mir ein paar Zeilen aus dem Krankenbericht vorlas und mich dann fragte: »Sind Sie ein Verwandter?«
    »Freund.«
    »Aha.«
    Mir fiel der bedeutungsvolle Ton in ihrem »aha« auf, und da ich wegen der barschen Art, mit der man mich behandelte, schon ziemlich sauer war, ranzte ich sie an: »Hören Sie, ich bin keine Schwuchtel oder so was. Was heißt hier ›aha‹?«
    »Sachte, immer mit der Ruhe!«
    »Los, sagen Sie mir, was los ist.«
    »Es war ein Selbstmordversuch mit einem Drogen-Cocktail, Tranquilizer und Beruhigungspillen. Außerdem hat er sich Luft in die Venen gespritzt. Man hat ihm Magen und Darm ausgepumpt, sein Zustand ist sehr ernst wegen einer Generalinfektion. Und wenn Sie wissen wollen, warum ich ›aha‹ gesagt habe, dann deshalb, weil sich so nur Schwule umbringen. Sie wollen sterben, haben aber nicht den Mumm. Richtige Männer erschießen sich, erhängen sich oder springen von einem Gebäude... Und jetzt beten Sie am besten für Ihren kleinen Freund.«
    Sie drehte mir den Rücken zu und ging mit spöttisch schwingenden Hüften davon. Auf diese Provokation hin vermochte ich nicht stumm zu bleiben: »Was für ein reizender Arsch, Süße, genau richtig, um ihn dir voll zu pumpen.«
    Sie drehte sich um, noch spöttischer als zuvor. »Ach ja? Da haben wir also offenbar wirklich eine Vorliebe für Ärsche, was, Süßer...«
    »Wenn ich dich in die Hände bekomme, besorge ich's dir von vorne und von hinten.«
    Offenbar hatte sie Letzteres nicht mehr mitbekommen, denn sie reagierte nicht und ging mit provozierend wackelnden Arschbacken den Flur hinunter zur Intensivstation. Von dort drehte sie sich noch einmal um und rief mir zu: »Übrigens, Süßer, die Besuchszeit ist um sechs Uhr nachmittags, also komm nächstes Mal pünktlich.« Ich kam jeden Nachmittag um sechs. Aurelio hatte das Bewusstsein wiedererlangt. Ein paar Tage später wurde er in ein normales Krankenzimmer verlegt. Die schwere Infektion war er noch nicht los, aber man durfte ihn besuchen. Den ganzen Tag über saßen abwechselnd seine Halbschwester, sein labiler Neffe und der Mann seiner

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