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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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Halbschwester bei ihm. Man durfte ihn nicht allein lassen. Für ein Krankenzimmer mit fünfundzwanzig Patienten waren gerade mal zwei Schwestern zuständig. Am zweiten Tag bot ich mich an, auch bei ihm zu sitzen, aber sie hatten sich selbst den Vortritt gegeben und schon beschlossen, dass ich die Nacht über bei ihm bleiben sollte.
    Er war sehr schwach, konnte nicht einmal eine Hand heben und wurde durch einen Schlauch in der Nase mit Sauerstoff versorgt.
    Der Mann der Halbschwester hatte mir bereits erzählt, dass Aurelio sich in letzter Zeit ziemlich abgesondert hatte und niemanden sehen wollte. Niemandem öffnete er die Tür. Jeden Tag verkroch er sich mehr in sich selbst. »Es war schwer, etwas für ihn zu tun. Manchmal suchte ich ihn auf, aber er ging nicht an die Tür. Ich glaube, er war völlig paranoid«, erklärte er mir.
    Aurelio war immer ein Einzelgänger gewesen. Sein Vater, Arbeiter in einer Metallfabrik, war ein langweiliger, phantasieloser, kleinkarierter Mann, ein Geizkragen, der jeden Pfennig umdrehte. Seine Mutter war eine überspannte, flatterhafte Pianistin, die ihr Leben lang einen Meter über dem Boden schwebte. Vom Vater bekam er Schläge, von der Mutter Süßigkeiten. Aurelio hatte von beiden etwas geerbt. Er war teils knauserig, teils verschwenderisch, teils verträumt und teils kleinkariert, teils Mann und teils Frau. Wir kannten uns aus der Schule, und ich hatte immer vermutet, dass er schwul war, wenngleich er eher asexuell wirkte. Einmal tranken wir an einem Strand in der Nähe seiner Wohnung Bier. Wir hatten schon gut getankt, und zwei junge Mädchen ohne Begleitung warfen uns hin und wieder einen Blick zu, also wollte ich die Initiative ergreifen.
    »Komm mit, die Kleinen da drüben knöpfen wir uns mal vor.«
    »Nein, nein. Wir bleiben hier sitzen.«
    »Was ist los mit dir, Alter? Bist du schwul, holst du dir einen runter, oder was ist dein Problem?«
    »Ich bin schwul, hole mir einen runter und habe kein Problem. Und was ist mit dir? Bist du ein echter Mann, oder tust du nur so?«
    »He - was zum Teufel ist los mit dir?«
    »Vielleicht gefallen dir ja auch schwarze Schwänze, und ich hab's satt, dass du immer den Macho markieren musst.«
    »Ach, leck mich doch, Aurelio.«
    Ich fand das nicht mehr lustig. Wie jeder Schwule, der auf sich hält, war er gleich beleidigt und verließ den Strand. Ich ging zu den Mädchen. Was weiter geschah, weiß ich nicht mehr. Aber Aurelio und ich sahen uns hinterher jahrelang nicht. Eines Abends ging mir auf, dass es mir völlig egal war, ob der Typ nun schwul war oder nicht. Sein Arsch gehörte ihm. Fest stand nur, wir waren von Kindheit an befreundet, und es war meine Schuld, dass wir es jetzt nicht mehr waren. Also schnappte ich mir eine Flasche Rum und suchte ihn auf, um Frieden zu schließen. Ich weiß nicht, wie man das bei den Eskimos sieht, aber in der Karibik steht das Ansehen eines Mannes auf dem Spiel, wenn er einen jungen schwulen Freund hat. Na, die Meinung anderer hat mich sowieso nie groß interessiert, und die wenigen Male, wo ich mich danach gerichtet hab, hab ich immer den Kürzeren gezogen, Fehler gemacht und musste wieder ganz von vorn anfangen.
    Ich ging also zu ihm, sagte Hallo, ohne jede Entschuldigung. Wir machten die Flasche auf. Sein Vater und seine Mutter waren tot. Drei Jahre zuvor hatte er geheiratet. Er stellte mir seine Frau Lina vor. Das war wieder eine Geschichte für sich: Die beiden hatten in der Schule eine heiße, leidenschaftliche Jugendromanze miteinander gehabt, aber Linas Familie hatte sie gezwungen, sich von ihm zu trennen, mit der Begründung, Aurelio sei schwul, Pianist, dünn, hässlich, buckelig und noch so einiges mehr. Sie verließ ihn und heiratete einen Kerl, der das genaue Gegenteil war. Sie hatten zwei Kinder, und er betrog sie mit jeder Frau, die ihm über den Weg lief, bis sie es nicht mehr ertrug und sich von ihm scheiden ließ. Dann begann erneut die Romanze zwischen Aurelio, dem Pianisten und gelehrten Musiker, und Lina, der Sopranistin. Beide waren inzwischen über dreißig. Aurelio hatte aufgehört, sich wie ein geprügelter Hund zu gebärden. Er widmete sich jetzt mit Hingabe seiner Frau. Wir trafen uns wieder öfters und unterhielten uns jetzt erstmalig - nach zwanzigjähriger Freundschaft - frei und unbeschwert über Sex. Er erzählte mir, dass er sie auf der Bettkante fickte, unter der Dusche, in der Küche, in allen möglichen Stellungen. Einmal führte er mir die Ananga Ranga vor - in der

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