Pedro Juan Gutiérrez
weitere alte Schlampe.
Schließlich traf sie ein Ehepaar, das fest entschlossen war, sich ein Heim zu schaffen. Die beiden jungen Leute kamen aus der Gosse, waren hungrig wie Wölfe und hatten keinen Centavo in der Tasche. Noch nie hatten sie ein Haus betreten, in dem es Telefon, Plattenspieler, Gasherd, Fernseher, Kühlschrank und Meeresblick gab. Als sie sich dort wieder-fanden, glaubten sie die Chance ihres Lebens gekommen und sagten sich: »Um keinen Preis der Welt gehen wir hier wieder raus.«
Als die Alte also schimpfend forderte, man solle ihr jedes Mal, wenn sie gekackt hatte, den Arsch abwischen, oder versuchte, den Mann zu sich ins Bett zu locken (sie behauptete, sie habe Angst, allein zu schlafen), besorgten sie sich die stärksten Beruhigungsmittel, die es gab. Und dann hieß es für Kate, bittere Pillen schlucken. Sie schnarchte wie ein Dornröschen vom Dach. Sie hielten sie unter Betäubung, aber immer, wenn die Alte aufwachte, versuchte sie von neuem, Stunk zu machen. Sie zappelte und schimpfte. Bis die beiden einen Entschluss fassten. Sie erhöhten die Dosis. Die Alte fiel ins Koma. Drei Tage lag sie in ihrem Zimmer röchelnd auf dem Fußboden. Dann brachten sie sie ins heruntergekommenste Krankenhaus Havannas und erklärten, sie wüssten nicht, was sie habe. Kein Arzt näherte sich ihr. Sie war zu widerlich, verschmiert mit Scheiße, Urin und Erbrochenem. Zwei Stunden später war sie tot. Um sich jeden weiteren Umstand zu ersparen, spendeten sie den Leichnam der medizinischen Fakultät. Und das war's. Ende von Kate.
Aber wie man weiß: Unkraut vergeht nicht. Kate Smith spukt immer noch auf dem Dach. Bei jeder Gelegenheit steckt sie ihre Nase in Angelegenheiten, die sie nichts angehen. Manchmal spukt sie in Ouija. Sie hinterlässt nur ihre Initialen. K. S. Manchmal unterschreibt sie K. Smith. Die Mörder wohnen jetzt hinter den Gittern. Sie glauben allen Ernstes, sie befänden sich in einem Penthaus und reden kein Wort mit uns anderen, den Prosaikern aus den hinteren Behausungen. Sie wollen eine Mauer errichten, um sich gut gegen uns abzugrenzen. Sie wissen nicht, dass wir hier hinten eine Ouija haben, die funktioniert. Ich weiß zwar nicht, wie, aber sie funktioniert. Nacht für Nacht erzählt uns K.S. beharrlich, wie sie ermordet wurde, beantwortet alle Fragen. Unermüdlich. Aber sie schweigt sofort und verflüchtigt sich, wenn ich sie über ihr Leben befrage. Nicht einmal jetzt gibt sie etwas preis. Sie ist eine Tochter Satans, die alte Schlampe.
Weihnachten '94
Am Sonntag, dem 25. Dezember, kam Angelito früh morgens hoch ins Dachgeschoss. Er war um die sechzig und wohnte im vierten Stock des Gebäudes. Höflich und nett bat er darum, die Wassertanks inspizieren zu dürfen. Er sagte, dass er seit Tagen kein Wasser in der Wohnung habe. Ich ließ ihn auf die Tanks klettern, und ohne einen Moment zu zögern stürzte er sich hinunter auf die Straße. Fünfundvierzig Meter in freiem Fall.
Die Ersten, die sich dem auf dem Asphalt zerschmetterten Körper näherten, waren zwei streunende Hunde. Sie fraßen einen Gutteil seines warmen, blutenden Gehirns - ein gefundenes Fressen zum Frühstück.
Die Alten und Älteren maßen dem Vorfall Bedeutung bei und zeigten reges Interesse. Dies war der fünfte Tote im Viertel innerhalb weniger Tage. Lily, die Ladenbesitzerin, sagte zu mir:
»Respektable Leute reisen in diesem Monat nicht, sie machen keine Geschäfte und meiden Partys und Menschenmengen. Fromme Leute wissen, das Jahr gibt und das Jahr nimmt.«
Die Jüngeren blieben unbekümmert. Für junge Leute gibt es keinen Tod. Er ist viel zu weit entfernt. Seit Jahren war Angelito ständig betrunken. Seine Familie war in alle Winde verstreut: Eine Tochter ging anschaffen, bis es ihr gelang zu heiraten, und zog dann als glückliche Hausfrau in ein Dorf in Segovia. Ein Sohn floh auf einem Floß nach Miami. Die Frau des Sohns, die jetzt ohne Mann und mit einem halbwüchsigen Sohn dastand, begann ein neues Leben als lustige Witwe, schloss sich einer Salsa-Tanz-gruppe an, sang und tanzte, bis sie sich durch glückliche Fügung auf einmal in Mexiko wiederfand, wo sie als »Lady Salsa« in einem Radiosender das Musikprogramm bestritt. Angelito blieb mit seiner Frau zurück - die beiden schimpften und zankten sich ständig - und mit seinem Enkel, dem Sohn von »Lady Salsa« und dem Floßflüchtigen. Nachdem seine Frau an einem Herzinfarkt gestorben war, lebte der Alte nur noch mit seinem Enkel Eduardo
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